6 Der Leitaufsatz zum Umschlagbild
italienischer Hofkünstler und Handwerker arbeitete
in Kassel.
Wichtige Voraussetzung für die außenpolitischen
Aktivitäten der Landgrafschaft war
eine entsprechende innere Verwaltungsorganisation.
Landgraf Karl führte sein Land zum
straff organisierten Beamtenstaat, insbesondere
durch die Neuordnung des Steuerwesens
und der Wirtschaft, um dem Staat regelmäßig
fließende Geldquellen zu sichern. Er leistete
für Hessen-Kassel das, was in derselben Zeit
im großen Brandenburg-Preußen angestrebt
wurde, nämlich dem Staat die Organisationsform
zu geben, in der die fürstliche Aufklärung
ihre Ziele für das materielle und sittliche
Wohl des Volkes verfolgen konnte. Ohne diese
Bezüge herzustellen, zeigt die Ausstellungsabteilung
‚Wirtschaft‘ vor allem Produkte des
Kunsthandwerks. Wichtiger für breitere Erwerbsschichten
war – von Landgraf Karl und
seinen Nachfolgern eifrig gefördert – eine
ausgedehnte Leinen- und Tuchindustrie. Intensiver
als anderenorts nutzte der staatliche
Merkantilismus Wasser-, Wald- und Braunkohlevorkommen
zur Glasherstellung, Salzgewinnung
und Verhüttung verschiedener
Metalle im Reinhards- und Kellerwald oder
im Richelsdorfer Gebirge. Die Entwicklung
dieser Industrien war vielfach auch die Triebkraft
für naturwissenschaftliche Forschungen
und Experimente. Als Beispiele werden hier
die Erfindungen von Denis Papin und Josef
Emanuel
Fischer von Erlach dokumentiert.
Es ist charakteristisch für die Persönlichkeit
des Landgrafen Karl – vielleicht ein Ideal
des Barock! – , dass alle seine Tätigkeits- und
Interessenfelder auch ihre wissenschaftliche
und künstlerische Seite haben. Das ist in allen
Bereichen der Ausstellung erlebbar und macht
fast jedes Exponat zu ästhetischem Genuss.
Leider nutzen die Ausstellungsarchitektur
und die Objektpräsentation diese Chance selten,
um das Erlebnis zu steigern und schaffen
dagegen grellfarbene Ablenkung. Schade!
Im populären Geschichtsbewusstsein des
Landes lebt Landgraf Karl bis in die Gegenwart
als einer der beliebtesten hessischen
Fürsten weiter, was heute noch Sagen und
Anekdoten bezeugen (z. B. das Landgrafenpaar
bei Bauer Hose in Leimsfeld in der
Schwalm). Der letzte Ausstellungsraum ‚Epilog‘
wird dieser Tatsache überhaupt nicht gerecht
und macht den Eindruck, nicht fertig
gestellt zu sein. Zu viele lebendige Zeugen für
die Gegenwart Landgraf Karls in der Gegenwart
des Landes, z. B. in Orts-, Straßen-, Einrichtungs-
Namen, Denkmälern u. s. w. bleiben
unerwähnt. Die Ausstellung mit ihren großartigen
Exponaten hätte ohne diesen Raum
keinerlei Einbuße erlitten. Für die Präsenz des
Landgrafen Karl in der Geschichtskultur Hessens
ist es geradezu kontraproduktiv, mit der
C-Schreibung seines Namens eine Verfremdung
einzuführen. Die Geschichtsschreibung
hat sich seit langem daran gewöhnt, für Herrscher
die modern übliche Namensform zu gebrauchen,
wie auch in der hessischen Geschichte
üblich: Heinrich, Ludwig, Philipp,
Wilhelm!
Landgraf Karl war ein typischer Vertreter
seines Standes und seiner Zeit, von ungebrochen
stolzem, fürstlichem Selbstgefühl, willensstark,
jedoch kein Despot. Er war bei aller
Entschlusskraft und allem Ehrgeiz bedachtsam
in seinen Handlungen. Der Philosoph
Leibniz, der Fürsten und Höfe Europas kannte,
zählte Landgraf Karl zu den Herrschern,
die den Fortschritt des Menschengeschlechtes
fördern. Wir sind dankbar, dies mit dem
Reichtum der vielfältigen, schönen Exponaten
erleben zu können, dankbar Allen, die mit
ihrem Einsatz dies ermöglicht haben.
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