4 Der Leitaufsatz zum Umschlagbild
andere Architekten an, z. B. Filippo Juvarra
in Rom, der daraufhin seinen Entwurf dem
Landgrafen widmete, ein Beleg dafür, welches
Ansehen Karl und sein Hof international
genossen.
Die Einbettung vieler Kasseler Entwürfe in
diesen internationalen Diskurs befreit auch
die hessischen Historiker von dem seit langer
Zeit fruchtlosen Bemühen, für diese Architekturphantasien
eine konkrete Bestimmung
oder Lokalisierung zu finden.
Ähnliche Belegketten wie in der Abteilung
‚Architektur‘ lassen sich für andere Bereiche
der Kunst und der Wissenschaft in der Ausstellung
entdecken, besonders in den beiden
Sälen ‚Kunsthaus‘ und die Naturwissenschaften.
Immer begegnet Karl als in der
Sache interessiert und engagiert, kenntnisreich
und von seinen jeweiligen Partnern,
Künstlern wie Wissenschaftlern, hochgeachtet.
Deswegen stört mittlerweile das unter
Historikern weit verbreitete und auch
hier durchscheinende Vorurteil, das als einzige
Charaktereigenschaft von Fürsten Eitelkeit,
Selbstdarstellungsdrang, Repräsentations-
und Prunksucht kennt, dem sich alles
andere unterzuordnen hat. Dem widersprechen
allerdings die Ausstellung selbst wie
auch verschiedene Aufsätze im Katalog und
im Begleitband an verschiedenen Stellen.
So findet sich der Wahlspruch des Landgrafen
„Constanter et Candide“ (Standhaft und
mild) mit dem kronengeschmückten Schwan
gut präsentiert. Mir gestand ein Mitarbeiter
der Ausstellung, dass er bei fortschreitender
Beschäftigung mit Landgraf Karl zunehmend
Bewunderung für ihn empfunden habe und
er das Fragezeichen im sehr früh festgelegten
Ausstellungstitel jetzt bedauere.
Landgraf Karl hat für die Entwicklung
Hessen-Kassels im 18. Jahrhundert die
Grundlagen geschaffen und die entscheidenden
Richtungen gewiesen. Wie alle Nachfolger
Landgraf Philipps des Großmütigen aus
dem Hause Hessen-Kassel war auch Karl beherrscht
von dem „Traum vom größeren Hessen“.
Das hieß: Zurückgewinnung der alten
Machtstellung, die man unter Philipp einmal
besessen und dann durch die unglückliche
Landesteilung von 1567 verloren hatte,
und der Weg heraus aus der Enge und Ohnmacht
eines wirtschaftlich armen Kleinstaates,
um einen eigenen Part im Konzert der
größeren Mächte spielen zu können. Dieser
Gedanke hat die äußere wie die innere Politik
des Landgrafen beherrscht.
Die Außenpolitik wird in der Ausstellung
in zwei Abteilungen durch eine überwältigende
Anzahl bedeutender, meist in Kassel
kaum gesehener Objekte dargestellt: In ‚Dynastische
Politik‘ lernen wir die engere (der
Ehe Karls mit Maria Amalie von Kurland
entstammen zwölf Söhne und fünf Töchter)
und weitere Familie des Landgrafen kennen
mit vielen schönen und guten Gemälden und
fürstlichen Geschenken (erlesenes Kunsthandwerk
Kasseler Herstellung, der prächtige
Bergwerksatlas der Minen von Falun
in Schweden von 1718, der für die hessische
Wirtschaft wichtig wurde). Im langen
Saal ‚Militär/Wirtschaft‘ besticht die Vielfalt
der Objekte. Ein Computer ist hilfreich, um
die verschiedenen Kriege mit hessischer Beteiligung
zu entwirren. Aber auch ohne die
vielen Einzelheiten ragen einzelne Bereiche
heraus: die Verteidigung von Rheinfels
(1692, Mosaik, Medaillen), die Schlacht von
Höchstädt (1704, Schlachtengemälde, Handschuhe
und Degen des Marschalls Tallard),
die Beschießung der Akropolis (1687, Weiherelief,
mitgebracht für die Antikensammlung
des Landgrafen).
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