Der Leitaufsatz zum Umschlagbild 3
‚Wirtschaft‘, ‚Hofkunst‘, ‚Architektur‘, ‚Kunsthaus‘
gestreift wird.
In der Reihe hessischer Herrscherpersönlichkeiten
nimmt Landgraf Karl mit seiner
ungewöhnlich langen Regierungszeit eine
herausragende Stellung ein. Er gilt in der Geschichtsschreibung
heute allgemein als der
bedeutendste hessische Fürst neben Landgraf
Philipp dem Großmütigen, zumal ihm
dessen Schattenseiten im persönlichen Bereich
völlig fehlen. Landgraf Karl gehört zu
den bedeutenden, auch typischen, deutschen
Barockfürsten und würde sicher zu den Großen
der Geschichte gezählt, wenn ein größeres
und mächtigeres Land seinem Wirken
stärkeres Gewicht verliehen hätte. Kein Gebiet
des öffentlichen Lebens der Zeit ist von
seiner Wirksamkeit unberührt geblieben. Viel
des von ihm Geschaffenen war von Dauer,
und die Kultur des Landes zehrt noch heute
davon. Seine Schöpfungen setzten Maßstäbe,
die lange wirkten und uns noch heute beeindrucken.
Manches ist auch in der Planung
oder im Anfangsstadium stecken geblieben,
weil die vorhandenen Ressourcen des Landes
für die Großzügigkeit der Entwürfe von
vornherein nicht ausreichten, wie beim Bau
der Herkulesanlage oder des Kanals, der Kassel
zum Mittelpunkt einer Wasserstraße von
der Weser zum Rhein machen sollte. Dennoch
beeindruckt auch das in Teilen Vollendete bis
heute: das Herkulesmonument mit Kaskaden
und Parkachse oder die Hafenstadt Karlshafen
als hessisches Tor zur Welt mit den Anfängen
des Karlskanals.
In der Ausstellung verleitet die Vielzahl
großartiger Architektur-Entwürfe, besonders
die Serie der acht großformatigen
‚Idealansichten
des Carlsberges‘ von Jan und
Rymer
van Nickelen das Publikum jedoch
zu völlig falschen Schlüssen, die dann in
HNA-Besprechungen ihren Niederschlag finden,
wo es heißt: „Man muss nicht bis nach
Nordkorea schauen, um all das wiederzuerkennen.“
(10. März 2018) und dem Landgrafen
„mehr als ein Hauch von Größenwahn“
(16. März 2018) unterstellt wird. Diese Einschätzung
übersieht völlig, dass der Landgraf
bei seinen Vorhaben durchaus Maß halten
konnte und sie abbrach, bevor er sich
verschuldete. Seine Zeitgenossen Friedrich
Anton
Ulrich von Waldeck und Ernst Ludwig
von Hessen-Darmstadt verschuldeten dagegen
ihre Staaten mit ihren Schlossbauten in
Arolsen und Darmstadt für lange Zeit.
Karls Bauten (außer dem Herkules durchgängig
Putzbauten) wirken auch nicht durch
Prunk, sondern durch elegante Proportion
und Größe. Karlsaue und Karlsberg sind anschauliche
Beispiele, die durch Einbeziehung
der – unbezahlt vorhandenen – Landschaft
ihre großartige Wirkung gewinnen, anders
als der ‚Große Garten‘ in Dresden oder der
‚Herrenhäuser Garten‘ in Hannover mit ihren
Umfriedungen.
Gerade diese Abteilung ‚Architektur‘ bietet
mit dem reichen Entwurfsmaterial international
berühmter Architekten die einzigartige
Chance, eine Anschauung davon zu vermitteln,
dass in der Barockzeit Architekturentwürfe
das Objekt anspruchsvoll intellektuellkünstlerischen
Austauschs waren zwischen
den Gebildeten, auch zwischen den Höfen.
Dabei war das Ziel, eine Formulierung für
ein ideales Konzept zu finden und nicht die
eventuelle Ausführung eines bestimmten
Bauwerkes. Der Gewinn dieser Ausstellung
liegt in der Dichte des Planmaterials und ihrer
augenfälligen Verbindung zu den ‚Concorsi
clementini‘ der ‚Academia di San Luca‘
in Rom. Auch Landgraf Karl selbst beteiligte
sich mit Entwürfen und spornte damit
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