2 Der Leitaufsatz zum Umschlagbild
GROSS GEDACHT! GROSS GEMACHT?
Zur Ausstellung über Landgraf Karl von Hessen zu Kassel vom 16.3. bis 1.7.2018
Karl-Hermann Wegner
Die Landesausstellung mit dem Titel
„groß gedacht! groß gemacht? – Landgraf
Carl in Hessen und Europa“ im Kasseler
Museum Fridericianum erinnert wieder
einmal anschaulich daran, dass Kassel der
Ort ist, wo das historische Erbe Hessens als
Staat von europäischer Bedeutung überzeugend
sichtbar gemacht werden kann. Es ist
bedauerlich, dass diese Möglichkeit von der
Landesregierung so wenig genutzt wird und
dem Bundesland Hessen damit der identifizierende
kulturhistorische Glanz fehlt, den
Bayern mit München, Sachsen mit Dresden,
sogar Niedersachsen mit Hannover so erfolgreich
einsetzen. Der heutige hessische Regierungssitz
Wiesbaden kann als ehemalige
Haupt- und Residenzstadt des Herzogtums
Nassau keine Zeugen hessischer Geschichtskultur
zur Selbstvergewisserung oder Außenrepräsentation
des Landes Hessen vorweisen.
Leider wird dieser Mangel noch durch ein
Minderwertigkeitsgefühl Kassels verstärkt,
das schon das selbstzweiflerische Fragezeichen
bei „groß gemacht?“ kleinlaut andeutet.
Kein Wunder, dass weder der Ministerpräsident
noch der zuständige Fachminister
es
für nötig hielten, zur Ausstellungseröffnung
am 15. März d. J. zu erscheinen oder einen
Vertreter mit einer publikumswirksamen Entschuldigung
zu entsenden.
Die besondere Bedeutung der Regierungszeit
des Landgrafen Karl (1677–1730) für die
kulturelle Entwicklung Hessen-Kassels und
seiner Haupt- und Residenzstadt ist im Lande
Der Leitaufsatz zum Umschlagbild
noch heute allgegenwärtig, allein in Kassel
mit den großen Anlagen Karlsaue, Oberneustadt
(mit der Karlskirche) und Karlsberg
(heute Wilhelmshöhe). Die genannten
Orte evozieren all die großen Elemente, die
unsere Vorstellung mit der Barockzeit verbindet:
ihren Zukunftsoptimismus, ihre Gestaltungskraft
und ihren Vollendungswillen.
Eine geradezu beispielhafte Verkörperung
dieser Epoche ist für Hessen-Kassel die Persönlichkeit
des Landgrafen Karl. Sein Leben
und Wirken erscheint im Geschichtsbewusstsein
des Landes mit dessen Barockzeit
gleichgesetzt. Das geistige Streben dieses
Fürsten finden wir in der aktuellen Ausstellung
durch eine fast unübersehbare Fülle erlesener
und durchgängig sehr qualitätvoller
Objekte illustriert.
Dabei konzentriert sich die Ausstellung
ganz auf die Person des Fürsten und lässt
eine Beschreibung seines Landes außer Acht,
das schließlich wesentliche Basis seines Handelns
war. Wir erfahren nichts über den verschiedenen
Charakter der von ihm regierten
Territorien, ihre Lage und Ausdehnung,
ihre Verfassung und Verwaltung (Landstände
und Landtage). Auch das Kirchenwesen,
der schwierige Konfessionsstand, die Sonderrechte
der Juden bleiben unberücksichtigt.
Hier vermisst man besonders, dass die Aufnahme
der Hugenotten, an der Landgraf Karl
mit seiner Familie einen ganz persönlichen
Anteil hatte, nicht als solche und im Zusammenhang
behandelt wird, sondern nur bei
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