DIE PHILIPPS-UNIVERSITÄT MARBURG ZWISCHEN KAISERREICH UND NATIONALSOZIALISMIUS
Die Geschichte der Universität Marburg im 20. Jahrhundert ist ein faszinierendes Kapitel deutscher Universitätsgeschichte, das leider noch immer nicht ausreichend erforscht ist. Das 1927 erschienene große Jubiläumswerk von Hermelink und Kaehler reicht bis zum Beginn der Weimarer Republik. Die neueren, seit 1995 verstärkt betriebenen Forschungen haben zu Publikationen über die Zeit des Ersten Weltkrieges und vor allem über die Zeit des Nationalsozialismus geführt.
Die dazwischen liegende Zeit dagegen ist bisher noch wenig erforscht, obwohl in den 1920er Jahren bemerkenswerte Wissenschaftler in Marburg lehrten. Berührt wird diese Zeit bisher nur durch die von Ingeborg Schnack herausgegebenen Kurzbiographien „Marburger Gelehrte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts", Inge Auerbachs „Catalogus Professorum Academiae Marburgensis, z. Bd., 1911-1971", Ulrich Siegs „Geschichte der Philosophie an der Universität Marburg von 1527 bis 1970", Ingrid Krälings Studie über „Marburger Neuhistoriker 1845-1930" und neuerdings Kai Köhlers „Germanistik und Kunstwissenschaften. Marburger Entwicklungen 1920-1950".
Der jetzt erschienene, aus einer wissenschaftlichen Tagung hervorgegangene Band „Die Universität Marburg zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus" widmet sich ganz der Aufbruchs- und Umbruchszeit der 1920er Jahre und schließt wesentliche Forschungslücken.
Die Beiträge gruppieren sich in drei Teile. Im ersten Teil wird nach dem Verhältnis der Philipps-Universität zum deutschen universitären Umfeld, zum republikanischen Staat und zur Stadt Marburg gefragt. Der zweite Teil befasst sich mit neun in ihren jeweiligen Fächern neue Wege beschreitenden Hochschullehrern: dem Theologen Bultmann, dem Kirchenhistoriker Hermelink, dem Philosophen Heidegger, dem Pädagogen Reichwein, dem Historiker Stengel, dem Literaturwissenschaftler Curtius, dem Chirurgen Klapp, dem Kindermediziner Freudenberg und dem Pharmazeuten Gadamer. Im dritten Teil geht es um die spezifische Marburger Studentenkultur und Studentenpolitik, die Frauen an der Universität und die singuläre Art, ein Universitätsjubiläum zu feiern.
Es wird deutlich, dass Marburg sich zwar nicht den großen Trends der deutschen Wissenschaft und Universitätspolitik entzog, aber doch eigene Akzente setzte. Diese heraus zu arbeiten ist das besondere Anliegen der Autorinnen und Autoren.


Inhalt
NOTKER HAMMERSTEIN: Marburg und die deutsche Universitätslandschaft in den 20er Jahren
ANDREA WETTMANN: Auf der Suche nach neuen Wegen? Die Philipps-Universität Marburg am Wendepunkt zwischen Kaiserreich und Weimarer Republik

ULRICH HUSSONG: Marburg - Stadt und Universität
JAN ROHLS: Rudolf Bultmanns frühe Marburger Theologie
KONRAD HAMMANN: Heinrich Hermelink in Marburg. Kirchenhistoriker in der Weimarer Ära
BERND MARTIN: Heidegger zwischen Marburg und Freiburg
DIETER WUNDER: Die Bedeutung der Marburger Studienzeit für Adolf Reichwein

ULRICH REULING (†): Mittelalterforschung und Landesgeschichte auf neuen Wegen. Der Historiker Edmund E. Stengel als Wissenschaftler und Wissenschaftsorganisator in den zwanziger Jahren
CHRISTINE JACQUEMARD-DE GÉMEAUX: Ernst Robert Curtius und die Universität Marburg in den 20er Jahren. Vom deutsch-französischen Vermittler zum Repräsentanten der longue durée
GERHARD AUMÜLLER: Von der Kriegschirurgie zur klinischen Traumatologie - die Entwicklung der Marburger Chirurgie unter Rudolf Klapp (1873-1949)

KORNELIA GRUNDMANN: Ernst Freudenberg und die Entwicklung der Pädiatrie in Marburg
BARBARA RUMPF: Johannes Gadamer (1867-1928) und die erste Marburger Schule der Pharmazeutischen Chemie
HOLGER ZINN: In Marburg ein Student. Anmerkungen zum Studentenleben in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts in Marburg
MARGRET LEMBERG: Frauen an der Universität Marburg JOCHEN-CHRISTOPH KAISER: Das Universitätsjubiläum von 1927


Die Philipps-Universität Marburg zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus. Hg. vom Verein für hessische Geschichte und Landeskunde e.V. (Hessische Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde 45) Kassel 2006. 311 Seiten. ISBN: 3-925333-45-2. Ladenpreis: 24,00 € Mitgliederpreis: 12,00 €