Renaissance" des Architekten Emil Hagberg aus Berlin-Friedenau war für die damalige Zeit sehr modern, zukunftsweisend und funktional. Das Raumprogramm war ausdrücklich an den Erfordernissen einer wissenschaftlichen Bibliothek und an den modernsten universitären Bibliotheksbauten der Zeit orientiert. Die magazinierten Be-stände wurden über ein ausgeklügeltes Katalogsystem aus Formal- und Sachkatalogen erschlossen und in einem Lesesaal oder für die Heimausleihe bereitgestellt. Magazine waren, wie es seit Mitte des 19. Jahrhunderts in wissenschaftlichen Bibliotheken üblich wurde, für die Nutzer unzu-gänglich. Bereits bei Bezug des Neubaus 1905 umfasste der Bestand 126.000 Bände, übrigens zu rund zwei Dritteln im Verlauf weniger Jahrzehnte von Kasseler Bürgern der Bibliothek geschenkt.
Der verheerende Bombenangriff am 22. Oktober 1943 auf Kassel beschädigte die Murhardsche Bibliothek schwer, rund 60 Prozent ihres Bestandes ging verloren, ca. 174.000 Bände. Der fünfstöckige Magazinbereich (hinterer Gebäudeteil) in den oberen drei Stockwerken und der Dachstuhl des Vortragsraum (heute Lesesaal) brannten aus. Die Integration der Landesbibliothek 1957 bot die Chance zum Wiederaufbau der zerstörten Gebäudeteile.
Offenbar hatte diese vereinigte "Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel und Landesbibliothek" eine so große Ausstrahlung, dass die 1970 gegründete "Gesamthochschule Kassel" (GhK) zunächst keine eigene Zentralbibliothek vorsah, was sich allerdings recht bald als nicht zukunftsweisend herausstellte. Stadt Kassel und Land Hessen schlossen daher am 12.12.1975 den "Vertrag ... über die Übernahme der Verwaltung der Murhardschen Bibliothek der Stadt Kassel und Landesbibliothek (MuLB) durch das Land". In der Präambel heißt es: "Die Beteiligten schließen diesen Vertrag, um die Literaturversorgung sowie die Informationsvermittlung für die Ein-wohner der Stadt Kassel zu erhalten und zu verbessern und um in Kassel eine leistungsfähige Bibliothek für die Gesamthochschule Kassel zu schaffen."
Die Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel ist somit seit 1.1.1976 eine Bereichsbibliothek im Bibliothekssystem der Universitätsbibliothek. Sie hat aber vor allem angesichts ihrer Geschich-te und ihres testamentarischen Auftrags, der sich daraus ergebenden Funktionen gegenü-ber der städtischen und regionalen Bevölkerung immer eine herausgehobene Rolle innerhalb dieses Systems gespielt und wird dies auch weiterhin tun. Auch wenn in Kassel immer von der "Murhardschen Bibliothek" gesprochen wird, so ist damit aber sehr häufig auch der Bestand und die Funktion der Landesbibliothek gemeint.
Es ist nicht nur das historische Erbe der Handschriften, Autographen, alten Drucke und die (fast) vollständige Sammlung der Literatur aus und über Nordhessen (Hassiaca) und deren Erschließung, die die Bedeutung der Bibliothek ausmachen. In der Murhard-Tradition nimmt die Bibliothek auch einen breiten Bildungsauftrag für die Bevölkerung, die die Universitätsbibliothek Kassel kostenfrei nutzen kann, wahr.
Axel Halle