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125 Jahren in unserem Städtchen angesessen waren, einschalten. Gudensberg hatte damals, im Jahre 1774, nur 1137 Einwohner, also 800 weniger als jetzt, und da man nicht behaupten kann, dass vor hundert Jahren Handel und Wandel in besonderer Blüte gestanden hätten, — eher war das Gegenteil der Fall, — so ist vielleicht ein Rückschluss auf frühere Zeiten, wo eine Stadt weit mehr noch einen gewissen Mittelpunkt bildete als heutzutage, nicht ganz unberechtigt, sofern er unter der nötigen Reserve gethan wird. Im Jahre 1774 lebten in Gudensberg, der Vorbeschreibung zum dortigen Kataster zufolge, 15 Krämer und Handelsleute, 4 Gastwirte, 5 Metzger, 2 Zimmerleute, 8 Bäcker, 4 Schreiner, 3 Drechsler, l Wagner, 4 Fassbinder, 8 Glaser oder Fenstermacher, 29 Schuhmacher, 2 Sattler, 15 Schneider, l Kürschner, 14 Leinweber, 3 Maurer, 4 Weissbinder, 4 Dachdecker, 2 Schlosser, 3 Schmiede, l Seiler, l Buchbinder, 2 Korbmacher, l Bader, l Perrückenmacher, welcher allerdings am Hungertuche nagte, und l Färber. Das Bild, das wir uns hiernach besonders für einzelne Zweige der Gewerbthätigkeit entwerfen dürfen, ist durchaus kein unerfreuliches. Den alten Familiennamen zufolge scheint Gudensberg freilich zu allen Zeiten in erster Linie Ackerstädtchen gewesen zu sein.

Ein unzweifelhaftes Zeichen, dass Gudensberg, — wie alle Städte im 14. Jahrhundert, — im Aufblühen begriffen war, ist die Anlage einer zweiten oder Neustadt, der sog. Freiheit99a). Die Doppelstädte sind eine eigentümliche Erscheinung des späteren Mittelalters, namentlich des 14. Jahrhunderts, und Landgraf Heinrich II. hat deren verschiedene gegründet. Der Name „Freiheit“, der heute noch an der Stätte haftet, wo die Neustadt gestanden, rührt von den Vergünstigungen, insbesondere von dem Steuererlass auf gewisse Jahre her, der den Bürgern gewährt wurde.

Die Freiheit zu Gudensberg hat nun, wie alle ihre Schwesterstädte, die Eigentümlichkeit, dass sie als gesonderte Stadt mit eigenem Bürgermeister und Rat, mit eigener weltlicher und kirchlicher Verwaltung, auch eigenem Wappen begründet erscheint und alsbald fertig dasteht, — eine Erscheinung, die sich nur daraus erklärt, dass nahegelegene Dorfgemeinden ganz oder doch zum grössten Teile in die schützenden Mauern der neuen Stadt übersiedelten. Daher rühren die ausgegangenen Ortschaften um Gudensberg, — Langenvenne vor dem Kammerberg an der sog. alten Strasse, Karlskirchen und Mittelvenne, letzteres am Ende der jetzt sog. Besser Strasse gelegen, das sich teilweise noch erhielt bis zu der Zerstörung des Jahres 1387. In dem Uebergang der beiden erstgenannten Orte in die neue Stadt mag die noch heute gehörte Sage, dass Gudensberg einst bis an den Odenberg gereicht habe, ihre Deutung erhalten.

Die Freiheit ist eine von den Landgrafen Heinrich und Otto in bewusster Absicht ausgeführte Neugründung. Die zahlreichen Darlehen, welche die Landesherren in jenen Zeiten auf ihre Städte aufnehmen, geben den Schlüssel dazu; denn diese gewerbtreibenden und demnach steuerkräftigeren Ver-

 

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