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[unkünstlerische] lerische. Der Steinmetz hatte nur die Absicht, das Portal ganz und gar mit Sculpturen zu bedecken, wozu er christliche und profane Ornamente in beliebiger Folge verwendete. Wiederholt wählte er den Drachen, den er an unendlich vielen Kirchen und Profangebäuden gesehen hatte, er verwendete von heiligen Figuren noch einen Kreuz- und einen Fahnenträger. Dann wählte er aber, als seine Phantasie zu Ende war, Figuren des täglichen Lebens, wie er sie vor Augen hatte, Krieger, Fuhrleute mit Wagen, eine Jagd, auch sonstige Scenen, welche sich aber nicht sicher deuten lassen, da der Steinmetz zu ungeschickt darstellte und auch der Stein verwittert ist. — Dass man lange Zeit geneigt war, in solche Darstellungen tiefen Zusammenhang hineinzusymbolisiren, kann nicht Wunder nehmen, da namentlich durch den gelehrten Professor Fr. Creutzer, den berühmten Alterthumsforscher (geborener Marburger) in die ganze Mythologie das Symbolisiren durch sein berühmtes Buch über die „Symbolik und Mythologie der alten Völker“ gekommen war. — Unser Herr Konservator Dr. Ludwig Bickell hat vom Kirchenportale eine photographische Aufnahme gemacht, so dass er nun mit Musse an nicht verschönerter Wiedergabe die nicht gleich erkennbaren Theile der Sculpturen studiren kann. Auch das „Spatenmännchen“, eine an der Südseite der Kirche eingemauerte spätere Sculptur, welche den Heiland als Gärtner vorstellt, aber consequent für den auf dem Meere wandelnden Heiland gehalten wird, wurde photographirt, ebenso das grössere prächtige gothische Portal des jetzigen Schulhauses. Die Kirche selbst, spät romanisch, welche im Innern, soweit sie zum Gottesdienste hergerichtet ist, mit modernem, spezifisch Hessen-Darmstädtischem Kirchenstyle versehen ist, wurde eingehend besichtigt. Auch der irrigen Ansicht, es sei eine befestigte Kirche gewesen, weil dem Haupteingange zwei Thürme vorgelegt sind, wurde entgegengetreten, indem auf ähnliche Anlagen hingewiesen wurde. — Die Marburger Mitglieder des Geschichtsvereins waren von einer stattlichen Anzahl von Mitgliedern des Oberhessischen Geschichtsvereins zu Giessen begleitet; als man sich wegen des leider eintretenden schlechten Wetters in das Gross-Lindener Casino zurückgezogen

 

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