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seminar [Zentralseminar] - ein Gedanke, der später wieder eine Rolle spielen wird.

Bis Mitte der siebziger Jahre hält sich die Frequenz des Seminars bei durchschnittlich 8 bis 10 Seminaristen. Das ändert sich seitdem ganz erheblich, die Zahl steigt auf durchschnittlich 17-19 Teilnehmer. Der Grund liegt darin, daß der preußische Staat im Gegensatz zum kurhessischen, der die Finanzierung der israelitischen Schulen allein den Synagogengemeinden überlassen hatte, seit Ende der siebziger Jahre im Rahmen der staatlichen Schulgesetzgebung tatsächlich Beiträge für Schulunterhaltung, Grundgehalt der Lehrer, Versorgung der Witwen und Waisen leistet. Somit erscheint der Volksschullehrerberuf, wie das Provinzialkollegium feststellt, auch in den Augen der gebildeten und bemittelten Israeliten als ein lohnender Erwerbszweig. Es fügt aber gleichzeitig hinzu, daß dieser neue Bewerberkreis es den Söhnen ärmerer Israeliten fast unmöglich macht, den Lehrerberuf zu ergreifen. Stein bewertet diese Entwicklung positiv, weil dem Lehrfach auch bessere Elemente zugeführt werden und nicht nur solche, welche in anderen Berufsarten keine Verwendung finden können.

Die Seminaristen wohnen seit 1869 im Internat, aber ihnen sind, wie der visitierende Provinzial-Schulrat anmerkt, für den Verkehr nach außen thunlichst weite Schranken gestellt, und es ist den Seminaristen unverwehrt, in der Freizeit beliebig auszugehen. Bei der leicht zu übersehenden kleinen Schülerzahl gibt es keine Disziplinschwierigkeiten. Der dirigierende Lehrer steht den Schülern so nahe und hat fortdauernd Gelegenheit, dieselben zu beobachten und von ihrem Fleiß, ihrem Streben, ihrem Betragen Kenntnis zu nehmen, daß es nicht schwer hält, Ordnung und Zucht aufrechtzuerhalten. Daß er auch außerhalb des Unterrichts mit den Schülern verkehrt und sie in den Kreis seiner Familie zieht, übt auf die Haltung derselben einen vorteilhaften Einfluß aus. Die Schüler fügen sich meist willig in die Anstaltsdisziplin. Ihr Verhalten gegen die Lehrer wird von diesen als ein pietätvolles gerühmt, daher es auch kommt, daß die zur Aufsicht herangezogenen städtischen Lehrer ohne Ausnahme gern an der Anstalt arbeiten und sich über das ernste Streben und die bereitwillige Aufnahme des gebotenen Lehrstoffes seitens der Schüler sehr anerkennend aussprechen.

Sorgen bereiten die "Allgemeinen Bestimmungen", wenn sie anordnen, daß der Präparandenbildung eine erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen ist. So sollen geplante und neue Präparandenanstalten z. B. nur noch gefördert werden, wenn sie sich verpflichten, nach einem staatlichen Lehrplan zu unterrichten. Allerdings sollen die Anforderungen an die Aspiranten nicht sofort mit aller Strenge erhoben, sondern während einer Übergangszeit so gehandhabt werden, daß die Seminararbeit keine Unterbrechung erleidet. Dadurch bleibt die Vorbildung der Seminaristen bis zu einer endgültigen amtlichen Regelung zunächst noch relativ offen. Die Aufnahme ist lediglich an eine Prüfung gebunden, zu denen sich Anwärter melden können, gleichviel, ob sie ihre Vorbildung in Volksschulen, Mittelschulen, Realschulen, Gymnasien, Präparandenanstalten oder privat empfangen haben. So bleibt dem israelitischen Seminar trotz der sichtbar werdenden Tendenz staatlicher Eingriffe in die Vorbildung zukünftiger Lehrer doch noch der legale Spielraum, seinen Nachwuchs durch Privatunterricht bei Rabbinern und Lehrern zu sichern. Darauf ist es angewiesen, weil die mit ihm verbundene Schule diese ihr ursprünglich zugedachte Funktion nicht mehr erfüllt, und die im christlichen Sektor zunehmend praktizierte Gründung von Spezialschulen, sog. Präparandenanstalten, dem Vorsteheramt finanziell nicht möglich ist. Allerdings muß jetzt darauf geachtet werden, die Vorbildung planmäßiger und systematischer zu gestalten.

 

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