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daß sie dort schon abgeschlossene Fächer wie etwa Arithmetik, Naturgeschichte und Zeichnen in Sonderlektionen oder Privatunterricht nachholen müßten. Da ein zukünftiger Lehrer aller dieser Kenntnisse bedürfe, müßten sie auch "als wesentliche in bestimmten und hinlänglichen Stunden" vermittelt werden. Der Regierung liegt offensichtlich daran, daß auch das israelitische Seminar einen eigenen Charakter mit einem in sich geschlossenen Curriculum erhält, das auf die Aufgabe eines künftigen Lehrers abgestimmt ist. Allerdings verzichtet auch sie auf die Anordnung pädagogischer Disziplinen. Aber den Lateinunterricht lehnt sie "als dem Zweck der Anstalt fremd und überflüssig" ab. Gerade daran hält aber das Vorsteheramt fest. Die Anstalt sei völlig neu, entspreche einem "speziellen Erforderniß" und könne an bestehenden Einrichtungen nicht gemessen werden. Während der Erforschung der christlichen Religion an staatlichen Schullehrerseminaren geringere Bedeutung zukomme, weil sie an wissenschaftlich hochqualifizierten Institutionen gepflegt werde, sei das israelitische Seminar "das Höchste, ... was man für diesen Zweck ins Werk zu setzen gekonnt." Es sei von vorneherein darauf angelegt, israelitische Lehrer zu bilden und auf den Rabbinerberuf vorzubereiten, dessen orientalische Studien des Lateins bedürften. Auch bestehe zwischen Lehrern und Rabbinern keine so scharfe Trennung wie bei den Christen zwischen Lehrer und Pfarrer. Der Rabbiner sei nur ein "höher gestellter Lehrer", dessen Status zu erreichen "eigentlich jedes Lehrers höheres Ziel und Streben ... seyn sollte." Die israelitischen Lehrer nähmen in ihren Gemeinden "eine ganz eigenthümlich selbständigere Stellung ein" als die christlichen, die immer einen "gelehrten Pfarrer über sich (hätten) welcher den Religionsunterricht leitet." Da die lateinische Sprache die Grundlage der abendländischen Bildung darstelle, müßte der Zugang zu ihr den Schullehrern "so viel als möglich" geöffnet werden. Schließlich fördere sie auch die Erlernung der Fremdsprachen und das Verständnis der deutschen Lebens- und Büchersprache." Die Regierung beugt sich diesen Argumenten und genehmigt am 17.12.1825 die Aufnahme des Lateinunterrichts in den Lehrplan.

Damit ist die Gründungsphase abgeschlossen. Alles in allem ein anspruchsvolles Programm, das die Initiatoren sich vorgenommen haben. Ob es im einzelnen durchzuführen ist, muß die Zeit erweisen. Prinzipiell ist die Struktur der israelitischen Lehrerbildung festgelegt: eine theoretische Unterweisung wird verbunden mit praktischen Übungen an einer angeschlossenen Elementarschule. Die Ausbildung dauert 3 Jahre und schließt mit einer staatlichen Prüfung ab. Die Anstalt wird finanziert aus israelitischen Kassen und verwaltet vom Provinzial-Vorsteheramt, das für sie einen speziellen Schulvorstand bestellt, die Aufsicht obliegt dem Staate. Abgesehen von der privaten Trägerschaft entspricht sie dem Aufbau der staatlichen Seminare. Nachfolgend sollen einige Grundzüge ihrer Entwicklung nachgezeichnet werden, die sich in zwei Epochen vollzieht: einer kurhessischen und einer preußischen.


II. Die kurhessische Epoche

Am 1. Mai 1825 öffnet die "Israelitische Schul- und Schullehrerbildungsanstalt" - so wird sie offiziell genannt - ihre Tore. Für Moses Büdinger heißt es zunächst einmal ein völlig zersplittertes jüdisches Privatschulwesen zu einer Einheit zusammenzufassen. Es gelingt ihm, die anfängliche Schülerzahl bis 1827 auf 72 zu erhöhen und die Schule, da drei ordentliche Lehrer zur Verfügung stehen, sogar dreiklassig zu

 

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