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eignete der Habitus eines wahren Grandseigneurs. Nur einmal habe ich ihn, aller dings völlig zu Recht, in großer Erregung und Verärgerung erlebt. Eines seiner Standardwerke, die "Geschichte der Deutschen Kultur", war in Neuauflage erschienen, ohne von seinem Verlag vorher informiert worden zu sein. Erst zufällig, bei Vorlage einer Ansichtssendung seitens einer Buchhandlung, hielt er sein neuaufgelegtes Werk in Händen, wenn ich nicht sehr irre, zudem in eigenmächtig ver änderter illustrativer Gestaltung.

Es sei hier angemerkt, daß in der Murhardschen Bibliothek nicht streng nach den Regeln der Preußischen Instruktionen (PI) katalogisiert wurde, daher für den Bibliothekspraktikanten ganz zwangsläufig ein nicht geringer Nachholbedarf entstand, den es in der gesamten Folgezeit wieder aufzuholen galt. Im Vergleich zu den anderen an preußischen Bibliotheken Auszubildenden, somit auch zu dem an der Hessischen Landesbibliothek praktizierenden "Kollegen", Herrn Günther Möller aus Kassel, war ich eindeutig benachteiligt. Gemildert wurde dieses Handikap dankenswerterweise allerdings dadurch, daß mir eine von Herrn Eduard Brauns an der Murhardschen Bibliothek ausgebildete spätere Diplombibliothekarin alle ihre in Ber lin unter dem dortigen PI-Experten Dr. Joris Vorstius angefertigten und korri gierten Titelaufnahmen nebst allen dazugehörigen Verweisungen großzügig übereignete. Denn gerade auf die vielen anzufertigenden Verweisungen kam es, zumal im Hinblick auf die nach drei Ausbildungsjahren abzulegende Diplomprüfung, besonders an. So überraschend, fast genial einfach das Murhardsche Katalogisierungsverfahren auch sein mochte, es führte kein Weg daran vorbei, in den PI wurde geprüft, sie galt es, sicher zu beherrschen.

Die Ausleihe war für ihren reibungslos und schnell ablaufenden, ausgesprochen benutzerfreundlichen und zuverlässigen Service allgemein bekannt. Die hier erbrachten Dienstleistungen wurden geschätzt und daher durchweg anerkennend gelobt. Verschiedene Faktoren waren hierfür bestimmend und ausschlaggebend: Da gab's zum einen den trotz einer nicht zu übersehenden, zur Korpulenz neigenden Ausleihbeamten, Herrn Gläßner, beweglich, eifrig, im Ton verbindlich, jedoch niemals aufdringlich wirkend, der den guten Kontakt zu dem ihm meist namentlich bekannten Benutzerpublikum zu pflegen verstand. Was seinen Kompetenzbereich betraf, so ließ er sich in nichts hineinreden, er wurde respektiert. Für die richtige Füh rung der Karteien fühlte er allein sich zuständig und voll verantwortlich. Das war wohl auch gut so, denn Termine wurden strikt eingehalten, regelmäßge Mahnungen bei abgelaufenen Leihfristen sowie Vorbestellungen auf zur Zeit verliehene Bücher wurden tagaus, tagein erledigt, waren wie selbstverständlich im Ablauf der Verwaltungsgeschäfte inbegriffen. Zum andern: Das Hilfspersonal, auch ich, der Praktikant, allesamt in weißen Kitteln, hatte anhand der Bestellzettel für schnelles Heraussuchen der bestellten Bücher zu sorgen. Schnell, das war garantiert, weil sich das über nur wenige Stockwerke erstreckende Büchermagazin mit entsprechend geringen Niveauunterschieden unmittelbar an die Ausleihe anschloß. Nach nur wenigen Minuten Wartezeit konnte der Benutzer das gewünschte Buch in Empfang nehmen, falls es nicht gerade anderweitig verliehen war. Im Büchermagazin selbst herrschte mustergültige Ordnung. Unvorstellbar allein schon der Gedanke, zurückgegebene Bücher oder Neuzugänge lägen, auch nur für kurze Zeit, uneingestellt irgendwo herum. Dem gesamten Ausleihvorgang kam außer dem die denkbar einfache und unkomplizierte Signaturgebung zugute. Ausgeliehen wurden grundsätzlich nur unbeschädigte Bücher. Gab ein Benutzer den noch ein Buch in mehr oder weniger beschädigtem Zustand zurück, wurde geprüft, ob erheblich schuldhaftes Verhalten vorlag. Ob für den entstandenen Schaden voll oder nur anteilig aufzukommen war, lag in der Ermessensentscheidung des Beamten. Meist wurde großzügig verfahren.

Da die Benutzungsfrequenz sich in überschaubaren Grenzen hielt, kam es darauf an, einen zufriedenen Benutzerstamm zu halten. Das war damals das Hauptanliegen, die Maxime der zu betreibenden Bibliothekspolitik.

Der Verkehr mit den Buchhändlern verlief auch nach dem ominösen 30. Januar 1933 in den gewohnten Bahnen weiter. Dieses Datum bedeutete keineswegs eine bemerkbare, schon gar nicht bemerkenswerte Zäsur.

 

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