..

-16-

 

Otto Friedrich Wiegand

Coram publico

Als Bibliothekspraktikant an der MurhardlTchen Bibliothek der Stadt Kassel

(1932/33)

Ein Erinnerungsbericht

Vorbemerkungen: Berufswahl - Volontariat

Nach bestandenem Abitur am Staatlichen Reform-Realgymnasium Arolsen zum Ostertermin 1932 eröffnete sich mir die Möglichkeit, während der Monate März bis Mai 1932 als Volontär an der Hessischen Landesbibliothek und den Städtischen Volksbüchereien in Kassel den bibliothekarischen Dienst aus eigener Anschauung kennenzulernen. Das erleichterte mir die Entscheidung, welchen der drei Berufe - Bibliothekar, Journalist oder Lehrer - ich wählen sollte. Mein daraufhin gestelltes Gesuch um Annahme zur Ausbildung für den gehobenen Dienst an wissenschaftlichen Bibliotheken wurde vom Preußischen Kultusministerium genehmigt. In diesem letzten Jahr der Weimarer Republik gehörte ich also unter den vielen hundert Bewerbern zu einem der insgesamt in Preußen zur diplombibliothekarischen Ausbildung ausgewählten 28 erfolgreichen Antragstellern. Das bedeutete in jener schweren Zeit, daß man ausgesprochen Glück gehabt hatte. Denn, noch bei der Verabschiedung von der Schule hatte deren Direktor uns Abiturienten den ernstgemeinten Rat mit auf den Weg ins Berufsleben gegeben: "Nur nicht studieren! Lernen Sie ein Handwerk, nur dieses hat noch einen goldenen Boden!"

Ausbildung:

Vom Staatlichen Prüfungsausschuß für das Bibliothekswesen in Berlin wurde ich für die Zeit vom 1.10.1932 bis zum 30.9.1933 der Murhardschen Bibliothek der Stadt Kassel zur Ableistung des praktischen Vorbereitungsdienstes überwiesen. Während dieser Zeit erfolgte die Ausbildung jeweils zwei Monate lang in folgen den Dienstzweigen:

1) Allgemeine Ordnungsaufgaben; Titelaufnahmen; Einlegen der     Katalogzettel in den Alphabetischen Katalog;

2) Ausleihdienst, auch Heraussuchen und Wiedereinstellen der     Bücher im Bücher magazin;

3) Führung der Zugangsbücher nebst Fortsetzungslisten; Verkehr mit     den Buch händlern und Buchbindern;

4) Lesezimmerdienst, dabei Einführung in die Handbibliothek;

5) Katalogdienst, Auskunftserteilung und Einführung in den     Systematischen Kata log;

6) Verwaltungsdienst; Kurzpraktikum an der Hessischen     Landesbibliothek.

Bibliotheksdirektor Prof. Dr. Georg Steinhausen, der auch Vorlesungen an der Universität Heidelberg hielt, ließ es sich dennoch nicht nehmen, als erster mich in die Technik der Titelaufnahmen einzuweisen. Er tat dies, planmäßig vor gehend, sachlich erklärend, immer sehr behutsam. Der Bibliothek war damals aus Privatbesitz eine umfangreiche Büchersammlung als Geschenk vermacht worden. In der Annahme, es handele sich bei einem aus dem Stapel herausgegriffenen Reclam-Bändchen um einen leicht aufzunehmenden Titel, stellte sich das Heft aber als eine Ferdausi-Ausgabe heraus, somit um eine schwierigere Titelaufnahme. Der Originaltitel war aus dem Innern des Heftes zu entnehmen oder einem bibliographischen Hilfsmittel; auch das fehlende Erscheinungsjahr galt es, zu ermitteln. Mein erster Einstieg in die Materie lag dabei in besten Händen. Obwohl die weitere Ausbildung durch Bibl.-Obersekretär Pflüger erfolgte, ließ sich Prof. Steinhausen meine Titelaufnahmen stets vorlegen, überprüfte und begutachtete sie, sparte nicht mit weiteren Erläuterungen und Anmerkungen, auch nicht mit ermunternden anerkennenden Worten. Er war eben ein durchweg idealer "Lehrer" und Vorgesetzter, eine bewunderswerte Persönlichkeit. Ohne Übertreibung: Ihm

 

..