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bemittelter Eltern und Unterstützungen von Vereinen und Privatpersonen beisteuern. Nützlich wäre es, wenn auch der Staat einen Beitrag leiste, um zu beweisen, daß es ihm ernst ist "um die Aufklärung und die bürgerliche Verbesserung der Juden;" er würde damit "sehr viel Vertrauen erwecken, sehr viel guten Willen erzeugen und anspornen."

Ihm schwebt ein System vor, das zwei Schulformen umfaßt: Elementarschulen (Volksschulen) auf dem Lande und dazu Mittelschulen in den Städten. Besonderer höherer (gelehrter) Schulen bedürfe es nicht, weil sie, auf der griechischrömischen Klassizität beruhend, die Religionsverschiedenheit nicht kennen, son dern das "rein menschliche Element europäischer Bildung enthalten", das allen gemeinsam vermittelt werden müsse. Wichtig wäre für israelitische Knaben die Mittelschule. Sie könnte die Bildung vermitteln, die geeignet wäre für einen Übergang in "Kunst-, Gewerbs- und Handlungsschulen, Wirtschaftsinstitute oder sonst in die Lehre", also in Berufe zu führen, die die Eingliederung in die bürgerliche Gesellschaft fördern. Unterrichtsinhalte und Pläne des Elementar- und gehobenen Unterrichts wären denen der christlichen Schulen anzupassen, wobei, wie in diesen "der Unterricht in der Religion, mit Bezug und Hinweisung auf Sittlichkeit und Tüchtigkeit zum bürgerlichen Leben" einen festen Bestandteil bilden müßte. Die Lehrerfrage will er dadurch lösen, daß die "zum israelitischen Schul- und Religionslehrer - oder Predigtamt Bestimmten ... in einem besonderen Seminar zu ihrem Berufe theils gebildet, theils zu den Vollendungsstudien zweckmäßig vorbereitet werden." Privat- und Hauslehrer sollten zwar nicht verboten, aber auch einer geregelten Prüfung unterworfen werden. Von einem solchen, durch "normgebende Bestimmungen" geprägten Schulwesen verspricht sich Pinhas, daß es "alle Erziehung nachgerade planmäßig und mehr Öffentlich gestaltet." Ein Textvergleich zeigt, daß das Gutachten der niederhessischen Regierung und die Konzeption von Pinhas in den Grundzügen übereinstimmen.

Die offiziellen Verhandlungen über den niederhessischen Entwurf finden ihren Abschluß in einer Hauptsitzung am 10. Dezember 1823. Nach vielen Streichungen, Änderungen und Ergänzungen im Detail wird der Entwurf "allergnädigst genehmigt" und am 30. Dezember als "Verordnung die gemeinheitlichen Verhältnisse der Israe liten betreffend"22) veröffentlicht. Zur bürgerlichen Rechtsstellung bringt sie direkt nichts Neues, aber indem sie u.a. "das Religionswesen und den Schulunterricht" grundsätzlich regelt, wird sie zu einem Markstein der kurhessischen Erziehungspolitik. Diese Kirchen- und Gemeindeverordnung wird der staatlichen Verwaltung organisatorisch angepaßt und untergeordnet. Gemeindeälteste, Kreis vorsteher, Vorsteherämter der Provinzen nehmen unter Aufsicht eines landesherrlichen Kommissars die Verwaltungsgeschäfte wahr. Alle Orts-, Kreis- und Provinzialrabbiner werden in hierarchischer Reihenfolge einem Landrabbinat unterstellt, das sich zusammensetzt aus dem vom Innenminister ernannten Landrabbiner, der gleichzeitig der Provinzialrabbiner Niederhessens in Kassel sein muß, den vier Provinzrabbinern, vom Ministerium ausgewählten gebildeten Laien und einem dem Kasseler Vorsteheramt angehörenden "Deputierten für sämtliche Vorsteher ämter." Dem Landrabbinat wird die Befugnis zugeschrieben, "die Oberaufsicht auf den gesammten Gottesdienst und den Religionsunterricht zu führen", darüber zu berichten und Verbesserungen vorzuschlagen. Hier ist das Ministerium in einem wesentlichen Punkte dem niederhessischen Vorschlag und Pinhas gefolgt: die Einwände der oberhessischen Regierung sind abgewiesen. Die Position des "Deputierten" nimmt jahrelang Pinhas ein, und in Verbindung mit seinen Funktionen im Kasseler Vorsteheramt - er ist zeitweilig sein Vorsitzender - verschafft sie ihm erheblichen Einfluß auf die Geschicke der kurhessischen Judenschaft, aber auch die Feindschaft andersdenkender Glaubensgenossen.

Den zweiten Erfolg bringt der § 12 der Verordnung. Er bestimmt: "Die jüdischen Glaubensgenossen sind verbunden, ihre Kinder in die öffentlichen Schulen ihres Wohnortes zu schicken. Es steht jedoch den Juden eines Ortes oder mehrerer be- [benachbarter]

 

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