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Was Moritz um diese Zeit zusammenbraute, wurde zumindest einem seiner Leibärzte, Hermann Wolf, übergeben, damit er es an sich selbst oder an einem seiner Patienten ausprobierte. Moritz erwartete dann Bericht über Geschmack und Wirkung seiner Medizinen. So bereitete der Fürst ein Arzneimittel aus Blei (clyssus ex Saturnia) und befragte Wolf um seine Meinung hinsichtlich Anwendung und Dosierung. Danach erhielt Wolf vom Landgrafen spiritus vitriolis und antwortete, daß dieser ohne Geschmack und ohne Nebenwirkung sei, zumindest habe er diesmal nicht erbrochen. Als Wolf im Jahre 1619 erkrankt war, verordnete Moritz eine essentia perlarum (ein Perlenextrakt), die Wolf mit 6 Tropfen aurum potabile angelicanum (trinkbares Gold) einnahm. Darauf fühlte er sich besser. Die Einnahme eines anderen von Moritz' Medikamenten, essentia lunarum, hielt Wolf für möglicherweise gefährlich, wünschte aber nichtsdestoweniger, die Substanz an sich selbst auszuprobieren. 5) Übrigens ist dieser Brief einer der letzten in Wolfs Korrespondenz mit dem Landgrafen. Wenige Monate darauf starb er. Offenbar waren die Apothekerkünste von Moritz nicht immer erfolgreich gewesen.

Das Werk von Benedictus Figulus, dessen handschriftliche und gedruckte Bücher einen bedeutenden Teil der Bibliothek von Moritz ausmachten, der viele alchemistische und paracelsistische Traktate herausgab, und der mit dem Fürsten korrespondierte und auch den Kasseler Hof besuchte, könnte uns zu dem Verständnis verhelfen, wie Moritz seine Welt sah und wie er das intellektuelle Milieu seiner alchemistischen Tätigkeit verstand. In seiner "Pandora magnalium natura-lium" (1608) faßt Figulus die Grundkennzeichen Paracelsisch-hermetischer Erkenntnistheorie zusammen: Die von Gott offenbarte Erkenntnis, die universelle Wahrheiten umfaßt, wurde ursprünglich Adam gegeben und danach von Generation zu Generation überliefert. Am Anfang war dieses Wissen vollständig und einheitlich. Es umfaßte spezielle Kenntnis in allen Künsten, besonders der Alchemie, der Astronomie und der Medizin. Irgendwann einmal wurde dieses Wissen jedoch zersplittert, und die offenbarte Einheit ging damit verloren. Figulus glaubte, daß die Sintflut Schuld daran war. Die Aufgabe des Hermetikers ist es nun, durch Erfahrung und durch das, was ebenfalls eine Form der Offenbarung ist, nämlich das "Licht der Natur" 6), die alte Einheit wieder herzustellen.

Die werte Einheit, Harmonie und Proportion waren für Moritz von großer Bedeutung. Soweit sie sich auf das Verständnis der Gesamtheit menschlichen Wissens beziehen, waren sie in reichem Maße in Robert Fludds technischer Geschichte von Mensch und Kosmos "Utriusque cosmi historiae", in Francisco Giorgis Lehrbuch von der kosmischen Harmonie "Harmonia mundi" und auch in den Büchern über die Baukunst von Leun Battista Alberti (1404-1472) "De re aedificatoria" und Vitruyius (1. Jh. vor Chr.) "De architectura", die Moritz in seiner Bibliothek besaß, vorhanden. In ihrer Annahme, daß die Grundelemente der Architektur in ihrer Betonung von Proportion und Form der Schlüssel zum Verständnis allen menschlichen Wissens seien, hatte die vitruvianische Tradition in der Tat viel Gemeinsames mit den Grundwerten der hermetischen Weltsicht. 7) In diesem Zusammenhang ist es von höchster Bedeutung, daß Moritz für den Bau des Ottoneums, des ersten Theatergebäudes auf deutschem Boden, an dessen Planung er persönlich beteiligt war, offenbar einen vitruvianischen Entwurf auswählte. 8) Am Vorabend des 30jährigen Krieges, bitterer familiärer, politischer und religiöser Uneinigkeit gegenübergestellt, muß für Moritz das hermetische Verlangen nach universeller Wahrheit und nach der Einheit des Wissens ein besonderes emotionelles Anliegen gewesen sein.

Nach Figulus gibt es drei "Bücher", in denen die Einheit des Wissens gefunden werden kann: Das "Buch" der Natur, oder Makrokosmos, das "Buch" vom Menschen, oder Mikrokosmos und das Buch der Heiligen Schrift, das die beiden ersten "Bücher" verständlich macht. Jedes Mitglied aus dem alchemistisch-paracelsistischen Zirkel von Moritz studierte eins oder mehrere dieser Sachgebiete und gab seine Erkenntnisse an den Mittelpunkt dieses Kreises, an den Fürsten selbst, weiter. Die

 

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