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Sonntag, den 1. Juli 1866. Die Verfasserin ist durch häusliche Sorgen am Schreiben verhindert worden. Ein neu angemietetes Dienstmädchen vom Lande ist ausgeblieben, weil allgemein auf dem Lande das Gerücht geht, Kassel werde in Brand geschossen werden. Ein gefangener hannoverscher Offizier, ein Leutnant v. Reichmeister, ist in Kassel einquartiert; er hat berichtet, daß auch die hannoversche Armee in ganz unfertigem Zustande ausgerückt sei. Über die letzte Audienz des preußischen Gesandten, Generals v. Röder, beim Kurfürsten auf der Wilhelmshöhe wird berichtet, die wohl kaum in der dargestellten Weise verlaufen sein wird. Wir lassen die Verfasserin nun wieder selbst reden:

„Ich kann mich so ärgern und es empört mich, wenn jetzt Manche, die wohl auch sonst und oft nicht mit Unrecht mißvergnügt waren, so über die Fürsten losziehen und ihr Unglück als eine vielfach verdiente Strafe gut heißen. Wenn unser Fürst nicht gut behandelt wird, so gehören wir doch zu ihm, mag er auch vielleicht in manchen Beziehungen nicht so viel für das Land getan haben, wie andere, und wenn wir nicht für sein Recht kämpfen oder wenigstens daran festhalten, so geben wir unsere eigenen Rechte auf. Hier auf Wilhelmshöhe hat der Kurfürst nur von den Schweizern 1 ) Abschied genommen, was sehr ergreifend gewesen sein soll. Seine Umgebung scheint ihn doch auch geliebt zu haben und in solchen Lagen steigert sich die Anhänglichkeit natürlich. In Hamm auf dem Bahnhof ist ihm spöttisch vorgesungen: „Nicht Roß noch Reisige schützen die Wilhelmshöh ' !“ solcher Spott und Hohn sind schändlich. In Stettin soll er gut behandelt werden, der König will ihn zwar nicht sehen, hat ihm aber der Cholera wegen auch Königsberg als Aufenthaltsort angeboten. .... Die „Kasseler Zeitung“ brachte am 19. noch kurfürstliche Ernennungen und war entschieden österreichisch, jetzt ist sie die amtliche Zeitung der preußischen Regierung. Die „Morgenzeitung“ war von vornherein entschieden

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1 ) Unteroffiziere der Schweizer Leibgarde.

 

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