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Im August 1834 unternahmen die beiden
Kasseler Bibliothekare Dr. Karl Bernhardi und Dr. Heinrich Schubart
zusammen mit dem Archivar Georg Landau einen Ausflug nach Zierenberg.
Diese Wanderung durch die Schönheit des hessischen Berglandes
mit den Ruinen der alten Ritterburgen ließ in ihnen den Plan
reifen, auch in Kurhessen einen Geschichtsverein ins Leben zu rufen,
wie er in den benachbarten Landschaften schon bestand: in Nassau
war 1812 der Verein für nassauische Altertumskunde gegründet
worden, in Thüringen 1819 der Thüringisch-Sächsische
Verein für Erforschung des vaterländischen Altertums,
in Westfalen 1824 der Verein für westfälische Geschichte
und Altertumskunde, in Hessen-Darmstadt im Vorjahr der Historische
Verein für Hessen. Zwar wollte man nicht dem Hang zu romantischer
Verklärung erliegen, aber die Romantik hatte doch die Begeisterung
für das deutsche Mittelalter geweckt. Der Freiherr von Stein
hatte 1819 die Monumenta Germaniae Historica ins Leben gerufen,
deren Aufgabe bis heute die wissenschaftliche Edition von Quellen
zur deutschen Geschichte ist. Auf ihn beriefen sich Bernhardi, Landau,
Schubart und der Direktor des kurhessischen Staatsarchivs, Christoph
von Rommel, in ihrem Aufruf zur Gründung eines kurhessischen
Geschichtsvereins vom 16. August 1834, der ein so großes Echo
hatte, daß schon Ende 1834 die erste Hauptversammlung abgehalten
werden konnte.
Den Vorsitz des jungen Vereins übernahm Dr. Christoph von
Rommel (1781–1859), der Direktor des Haus- und Staatsarchivs und
der Landesbibliothek in Kassel. Er war ein Staatshistoriker alter
Schule, dessen "Geschichte von Hessen" (10 Bände,
1820–1858) noch heute die breiteste Darstellung der hessischen Geschichte
ist. Karl Bernhardi (1799–1874, seit 1859 Nachfolger Rommels im
Vorsitz des Vereins) war 1829 Nachfolger Jacob Grimms an der Landesbibliothek
geworden. Er war ein politischer Kopf, der sich auf vielen Gebieten
öffentliche Anerkennung erwarb. 1848 wurde er Mitglied der
Frankfurter Nationalversammlung, 1867/68 gehörte er dem Preußischen
Abgeordnetenhause und 1867/69 dem Reichstag des Norddeutschen Bundes
an. Georg Landau (1807–1865) ist von den Gründern des Vereins
wohl für die Geschichtswissenschaft über Hessen hinaus
am bedeutendsten geworden: mit seinen vielfältigen historischen
Arbeiten überwand er die Grenzen der politischen und Staatshistorie
alten Stils und ist damit zu einem der Väter der historischen
Disziplin geworden, die erst im 20. Jahrhundert als "Geschichtliche
Landeskunde" voll anerkannt worden ist.
Das Programm des jungen Vereins wirkt noch heute ausgesprochen
modern: nicht nur die politische Geschichte und ihre Erforschung
war sein Ziel, sondern der gesamte Bereich dessen, was wir heute
"Geschichtliche Landeskunde" mit all ihren Verflechtungen
im weitesten Sinne nennen: Mundart- und Flurnamenforschung, Verfassungs-
und Verwaltungsgeschichte, Volkskunde in allen ihren Sparten, Wappen-,
Siegel- und Familienkunde, die Erarbeitung historischer Karten,
Kunst- und Denkmalspflege heute allgemein anerkannte wissenschaftliche
Fächer an unseren Universitäten oder Aufgabe von wissenschaftlichen
Instituten, bei denen der Geschichtsverein für sich in Anspruch
nehmen kann, anregend und für die Wissenschaft fruchtbar geworden
zu sein. Natürlich spielten Grabungen und das Sammeln von Urkunden
und Museumsgut eine große Rolle: die Städtischen Museen
Kassel und das Marburger Universitätsmuseum bewahren heute
den reichen Fundus der Sammlungen des Vereins. Der Veröffentlichung
von Forschungsergebnissen und ihrer Verbreitung dient seit 1837
die "Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte
und Landeskunde".
Von Anfang an aber stand nicht nur die hessische Geschichte im
Mittelpunkt des Interesses. Sofort wurden Verbindungen zu den Geschichtsvereinen
in allen deutschen Landschaften geknüpft, mit denen man bis
heute in Schriftentausch steht. Und weil man die hessische Geschichte
als Teil der deutschen Geschichte empfand, war es selbstverständlich,
daß der Verein im Jahre 1852 zum Gründungsmitglied des
"Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine"
wurde.
War der Geschichtsverein zu Anfang ein Verein von Honoratioren
und Akademikern, so umfaßt er heute Mitglieder aus allen Schichten,
vom Kaufmann bis zum Handwerker und Landwirt, vom Universitätsprofessor
bis zum Schüler. Mit der Ausweitung der Mitgliederzahl auf
über 2500 ist zugleich eine Verlagerung der Tätigkeit
des Vereins vor sich gegangen. Sie geschieht heute vor allem in
den 18 Zweigvereinen, die im Sommer landeskundliche Studienfahrten
unternehmen, während die Wintermonate Vortragsabenden über
die verschiedensten Themen aus den Arbeitsgebieten des Vereins gewidmet
sind. Dabei arbeiten die einzelnen Zweigvereine an vielen Orten
aufs beste mit den Volkshochschulen und anderen Vereinen zusammen.
Der Hauptverein gibt die Zeitschrift des Vereins heraus und richtet
die Jahresversammlungen aus, die jährlich jeweils an einem
anderen Ort des alten Kurhessen stattfinden.
Auszug aus: Hans-Enno Korn: Hundertfünfzig Jahre Verein für
hessische Geschichte und Landeskunde, in: MHG 8 (1984), S. 3-5.
Zu weiteren Information über Georg Landau siehe Sonderdruck des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde aus „Lebensbilder aus Kurhessen und Waldeck“ Bd. 6 Wilhelm Niemeyer: Georg Landau. Der Begründer der geschichtlichen Landeskunde. Ein Lebensbild, Marburg 1958 |