Vortrag zum Thema „100 Jahre Frauenwahlrecht“ von Ruth Piro-Klein am 18. Oktober 2021 beim Zweigverein Witzenhausen

Nachdem im September die 1. Veranstaltung des Vereins nach einjähriger Pause auf der Burg Ludwigstein schon als voller Erfolg bezeichnet werden konnte, hatte der Witzenhäuser Vorstand im Oktober die 2. Vorsitzende des Hauptvereins Frau Ruth Piro-Klein mit dem Thema „1oo Jahr Frauenwahlrecht“ eingeladen. Obwohl Frau Piro-Klein erst wenige Tage von einem kurzen Krankenhausaufenthalt genesen war, präsentierte sich die Referentin gewohnt engagiert, temperamentvoll, abwechslungsreich und mit großer Sachkenntnis. Nach jahrhundertelangem Ausschluss von jeglicher politischer Einflußnahme und der eindeutigen Vorherrschaft des männlichen Geschlechts kam mit der Novemberrevolution 1918 für die Frauen in Deutschland eine „vorsichtige Wende“. Mit der Forderung des Wahlrechts für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen im Reichsgesetzblatt bestand nun eine kleine Chance zur ersten politischen Teilnahme, eine Ausnahme im Vergleich zu vielen anderen europäischen Ländern. Für viele Menschen blieb dennoch die Politik „Männersache“ und nur vereinzelte männliche Politiker wie z.B. der Sozialdemokrat August Bebel kämpften aktiv gegen die Reduzierung der Frauen auf die 3 „K“ – Kinder, Küche, Kirche.

 
 

Trotz der Forderung des Wahlrechts für Frauen schon im Jahr 1911 auf dem Weltfrauentag, konnten nach der Novemberrevolution erst die vielen negativen Ergebnisse (Tod, Hungersnöte, Schwarzhandel, Lohnsenkung …) behoben werden durch den beispielhaften Einsatz tüchtiger Frauen beim Wiederaufbau des Gemeinwesen.

In die Weimarer Nationalversammlung wurde Marie Juchacz als eine von 37 Frauen gewählt und hielt dort 1919 die erste Rede einer Frau, womit nach Darstellung von Frau Piro-Klein die meisten männlichen Abgeordneten wohl große Probleme hatten so diese Neuerung zu akzeptieren.

Durch Artikel 109 erreichte man zwar die Feststellung der gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten von Frauen und Männern, aber noch keine volle Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde das passive Wahlrecht den Frauen sofort wieder entzogen, weil die NS-Machthaber keine Frauen in der Politik und öffentlichen Ämtern duldeten.

 
 

Erst nach der Niederlage der Nationalsozialisten und der Gründung der Bundesrepublik Deutschland konnten die Frauen und fortschrittlich denkende Männer den Kampf um die völlige Gleichberechtigung wieder aufnehmen. Die Referentin machte aber durch viele Beispiele deutlich, dass in den fünfziger Jahren die Gesetze zur Förderung der Gleichberechtigung nur gegen erheblichen Widerstand besonders der Adenauerregierung durchgesetzt werden konnten. Die wirtschaftliche Abhängigkeit vieler Frauen wurde sogar erst in den 60ziger Jahren, z.T. auch in den 70ziger Jahren wie z.B. das Ehescheidungsrecht zugunsten der Frauen geändert. Dazu brachte die Referentin eine Fülle von interessanten Beispielen. Die Änderung des Strafrechts bei Vergewaltigung in der Ehe, erst 1997 eingeführt, wurde von den Zuhörern mit Erstaunen aufgenommen und entsprechend kommentiert.

 
 

Im letzten Teil ihres sehr interessanten Vortrags nannte Frau Piro-Klein noch einige bekannte Namen berühmter Frauen, z.B. die Juristin Elisabeth Selbert, sehr aktiv bei der Ausarbeitung des Grundgesetzes 1949 und Elisabeth Schwarzhaupt als erste Gesundheitsministerin von 1961 bis 1966. Als weitere die beiden Bundestagspräsidentinnen A. Renger und R. Süßmuth und auch die erste Ministerpräsidentin H. Simonis von Schleswig-Holstein. Ergänzt wurden die Ausführungen auch mit Beispielen von Frauen, die bei Wahlen zu hohen Ämtern ihren männlichen Kollegen knapp unterlegen waren wie H. Hamm-Brücher und G. Schwan.

 
 

Am Ende des Vortrags wurden weitere Frauen in der heutigen Politik der Bundesrepublik mit neueren Fotos vorgestellt und deren Einsatz für die Gleichberechtigung der Frauen von der Referentin beschrieben, bewertet und Perspektiven in der abschließenden Diskussion vertieft. Frauen wie Angela Merkel, Ursula von der Leyen, Malu Dreyer und Manuela Schwesig und andere sind positive Beispiele in den politischen Gremien der Bundesrepublik Deutschland und der europäischen Union. Trotz einiger positiver Entwicklungen für die Gleichberechtigung der Frauen bleibt noch viel zu tun. Das zeigte Frau Piro-Klein am Ende ihrer Ausführungen deutlich auf.

 
 

Im neuen Bundestag sind von 735 Abgeordneten nur 255 = 34,7 % Frauen. Ungleiche Bezahlung für gleiche Arbeit, Doppelbelastung von Haushalt und Beruf bei der Mehrheit der Frauen und Unterrepräsentation von Frauen in Führungspersonen treten weiterhin deutlich zu Tage. Mehr jüngere und weibliche Abgeordnete im Bundestag und den Länderparlamenten sowie in den kommunalen Gremien bleibt damit eine der Hauptforderungen.

Alles in allem ein sehr gelungener Vortrag. Das zeigen die positiven Rückmeldungen der Besucher, deren Zahl leider wegen der Pandemie-Vorsichtsmaßnahmen begrenzt werden musste.

 
Hans-Jürgen Markolf