..

12

demonstrieren. Jacob Grimm ging auf den ihm unterbreiteten Vorschlag ein und lieferte insgesamt zwölf Beiträge, darunter auch die Übertragung der Gleichnisse in die Mundart der Stadt Kassel. Radlofs Sammelwerk erschien schließlich 1817.

In einem einleitenden Vorwort erklärt Radlof die Entscheidung, gerade Gleichnisse aus der Bibel für seine vergleichende Mundartdarstellung heranzuziehen: Von weit größerer Fruchtbarkeit für die Vergleichungen [der Mundarten, Anm. vom Autor], sind aber einzelne Erzählungen der Bibel, [...] die sogar der schlichte Landmann, dem man dieselben hochteutsch vorlieset, gar leicht in seiner Mundart uns nachzuerzählen vermag. Als große Schwierigkeit sieht Radlof allerdings die Niederschrift der Dialekte an, wenn er von einem großen Mangel an vorhandenen Sprach-Zeichen spricht. Gleichzeitig präsentiert er eigene Versuche, den Redesang (Accent) durch Noten zu bezeichnen, muß aber darauf verweisen, daß die Natur der menschlichen Sprachlaute noch keinesweges so genau untersucht ist. Radlof schlägt daher seinen Mitautoren vor, nur Haupt-Veränderungen der Sprach-Laute durch Zeichen zu kennzeichnen, die er in einer Übersicht der minder gewöhnlichen Schrift-Zeichen darstellt. Insgesamt bietet das Werk Radlofs 135 Fassungen des Gleichnisses vom Sämann und 61 Übertragungen des Gleichnisses vom verlorenen Sohn.

Nach der Veröffentlichung des Bandes hat Jacob Grimm einige Kritik an der wissenschaftlichen Arbeitsweise Radlofs geübt. So ist ein Brief erhalten, in dem Grimm Kritik an der Methode der Bibelübersetzungen übt und dem Werk Radlofs allgemein "große Mängel" attestiert. Schließlich faßt Jacob Grimm zusammen: Radlofs Werk ist grammatisch von viel geringerem Nutzen, als es auf den ersten Blick scheint. Doch bei aller Kritik Jacob Grimms stellen die durch das Radlofsche Werk überlieferten Mundartproben heutzutage einen besonderen Schatz der historischen Dialektologie dar. Schließlich erlauben sie einen Blick vor allem in die Lautstruktur verschiedenster Mundarten zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Erstaunlicherweise sind die Dokumente, die Radlof in seinem Werk bietet, so gut wie überhaupt nicht von der sprachlichen Landesforschung in Hessen bei ihren Analysen der hessischen Mundarten berücksichtigt worden. Speziell für die Erforschung der Mundart der Stadt Kassel stellen die Gleichnisübersetzungen wichtiges sprachliches Vergleichsmaterial dar, mit dessen Hilfe man Aussagen über den Wandel der Kasseler (Stadt)Mundart treffen kann und die die Basis für historische, sogenannte diachrone Untersuchungen sein könnte. Da das Werk Radlofs nur schwer zugänglich ist, seien hier einige eindrucksvolle Textpassagen abgedruckt.

 

Das Gleichnis vom Sämann in Kasseler Mundart

Hehrt zu, [...] es gink en Sehmann us ze sehen. Un es begab sich, wie ha (he) sehte, fiel etliches uf den Wäk; do kamen de Väggel unner dem Himmel und frassens uf. Etliches fiel in das Stinnige, woh's nit väle (vele) Äre hatte. Do nu de Suonne ufgink, verwälkte's, un well's kinne Worzel hatte verdorrtes. Un etliches fiel unner de Dornen, un de Dornen wuocksen in de Heh un erstickten's, un es brachte kinne Fruocht. Un etliches fiel uf en gutes Land un brachte Fruocht, die do zunahm un wuochs; un menches truk drissigfällig, un menches sechzigfällig, un menches hunnertfällig.

 

..