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geschäfte [Geldgeschäfte] mit den Höfen vieler deutscher Duodezfürsten verbunden und von ihnen mit klingenden Titeln ausgestattet, durch die Universität Helmstedt ehrenpromoyiert, bekannt durch Wort und Schrift als Vorkämpfer für die Rechte der Juden im In- und Ausland, von Goethe ironisch als "Judenheiland" apostrophiert, fühlt er sich selber "als der berufene Vertreter der Judenschaft" 4) , kommt als Hofbankier Jérômes nach Kassel und sieht im neugegründeten Königreich Westphalen die Chance, seine Glaubensbrüder wirklich aus der unverschuldeten Unmündigkeit zu befreien.

Weil "die Juden nicht ferner eine getrennte Gesellschaft im Staate ausmachen dürfen, sondern nach dem Beyspiele aller Unserer andern Unterthanen sich in die Nation, deren Glieder sie sind, verschmelzen müssen''5), bestellt ihn Jérôme zum Präsidenten eines "Consistoriums für die jüdische Religion", das als staatlich autorisierte Behörde die Angelegenheiten der Israeliten selbständig regeln soll. Jacobson steht vor der doppelten Aufgabe, die in Ritualen, Liturgie und Auslegung der heiligen Schriften zersplitterten Gemeinden des Königreichs Westphalen zu einer einheitlichen Religionsgemeinschaft zusammenzufügen und sie zugleich mit den christlichen Konfessionen auf den Boden gemeinsamer staatlicher Gesetze zu stellen. Mit seinem geistigen Vater Moses Mendelssohn ist er sich darin einig, daß eine auf gegenseitige Toleranz beruhende Partnerschaft nur zu erreichen ist, wenn die Juden aus ihrer bisherigen Isolation heraustreten und sich der Kultur und Bildung der bürgerlichen Gesellschaft, in der sie leben, öffnen. Sie können es nur, wenn sie auf einen Teil ihrer tradierten Sitten, Bräuche und Lebensformen verzichten, die zwar tief in ihrer Religion verwurzelt und in Thora, Talmud und Schriften gelehrter Rabbiner fixiert sind, die aber in einem erheblichen "Kontrast mit der Kultur des Jahrhunderts (stehen)"6). Das ist, meint Jacobson, auch nicht verwunderlich: denn "bei der grenzenlosen Gleichgültigkeit, welche die Regierungen stets gegen alles zeigten, was die religiöse und sittliche Verfassung der Israeliten betraf, bei dem drückenden Joche, unter welchem unsere Nation so viele Jahrhunderte hindurch schmachtete", wurden die Juden in ein Abseits verbannt, das sie "von der fortschreitenden Ausbildung ihrer Mitmenschen, so wie allem, was dem Geiste der Zeit angemessen war", ausschloß, und sie den der Tradition verhafteten Lehrern und Vorstehern überließ. Jetzt kommt es darauf an, "den echten religiösen Kern von der Schale zu sondern", das Unwesentliche und Unvernünftige der Einrichtungen und Gewohnheiten zu modifizieren oder abzu schaffen.

Jacobson weiß, wie schwierig diese Gratwanderung zwischen Strenggläubigen und Aufgeklärten, Verstockten und Indifferenten, Orthodoxen und Liberalen der eigenen Reihen und den vorurteilsbeladenen Christen auf der anderen Seite ist, aber er vertraut darauf, daß durch eine auf dem Boden einer liberalen Theologie vereinten Judenschaft die Hindernisse beseitigt werden, die einer Einbindung in die europäische Kultur im Wege stehen. Ein solches Vorhaben kann nur gelingen, wenn es bei der Jugend ansetzt. Ihre Erziehung gehört deshalb zu den "ersten und hauptsächlichsten Gegenständen, mit denen sich das Consistorium zu beschäftigen haben wird."7) In mehreren Denkschriften stellt Jacobson dem Innenminister die Situation der Juden vor. Als der Staat sie noch "als eine geduldete Nation ... betrachtete", kümmerte er sich "weder um ihre Schulanstalten noch überhaupt um ihre Bildung." Zwar gab es Privatschulen, aber sie entbehrten jedes leitenden Prinzips, einheitlicher Vorschriften und anerkannter Bücher. "Von einem wissenschaftlichen Unterricht wußte man vor 30 Jahren unter den Juden gar nichts. Deutschschreiben und Rechnen nach Regeln, wer das verstand, war schon ausgezeichnet. Wozu sollte auch der Jude bei der Erziehung seiner Kinder höheren Bedacht nehmen? Seine Bestimmung konnte nur die eines Handelsmannes sein. Was brauchte denn dieser auch mehr zu verstehen als Schreiben und Rechnen? Der Kleinhändler bedurfte auch dies nicht einmal. Bei seiner eigenen Religionspartei konnte er imponieren, wenn er den Talmud studierte und die strengste Ausübung der äußerlichen Zeremonien behauptete." Eine gewisse Wende trat erst

 

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