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Aber natürlich erschöpft sich die Bedeutung der Stadtgeschichte nicht darin, Hilfswissenschaft zu sein - was im übrigen nicht als negative Qualifikation verstanden werden darf: benachbarte Fächer dienen sich stets wechselseitig als Hilfswissenschaften. Jede Wissenschaft ist Dienerin der anderen. Stadthistoriker sind nicht nur Detaillieferanten für andere Zwecke, sondern bemühen sich, eine in sich vollwertige historische Wesenheit gedanklich wieder zum Leben zu erwecken. Die Geschichte jeder einzelnen Stadt ist an sich interessant und wichtig, nicht nur für ihre Bewohner, die, haben sie historischen Sinn, mit Recht über die Herkunft und Entwicklung ihres Gemeinwesens Genaueres wissen wollen

Bei dieser Beschäftigung bieten sich Möglichkeiten sowohl für den Forscher wie für den Leser, die sich angesichts anderer historischer Objekte vielleicht nicht so leicht einstellen Das menschliche Leben ist so komplex, daß jede historiographische Bemühung nur kleine Ausschnitte darlegen kann, die in vielfältiger synoptischer Arbeit dann zu größeren Bildern zusammengesetzt werden müssen, bis ein Panorama entsteht, das Einzelzüge nicht mehr oder kaum noch erkennen läßt, gleichwohl aber die Sache insgesamt richtig bringt. Der Lebensraum Stadt ist, auch wenn es sich um große Kommunen handelt, immer überschaubarer als der Bereich übergeordneter politischer Gebilde. Hier kann also die Totalität des Lebens besser erfaßt und dargestellt werden als bei der Betrachtung größerer Regionen.

Das bedeutet, daß vielfältigere Fragestellungen möglich und nötig sind. Der Stadthistoriker hat zunächst den Raum zu beschreiben, an dem er arbeitet. Er muß sich sodann mit der Entwicklung der Bevölkerung, der Fläche und Bebauung, der Infrastruktur und des gesamten Wirtschaftslebens einschließlich der damit verbundenen sozialen Umschichtungen beschäftigen, er hat auch nach der Teilhabe der Bürger an den politischen Entscheidungen zu fragen und muß im Zusammenhang damit die Entwicklung der öffentlichen Meinung beleuchten, er darf das Alltagsleben der Bewohner nicht vergessen und muß die vielfältigen privaten Vereinigungen und Organisationen berücksichtigen, die Geschichte der Religionsgemeinschaften darf ebensowenig außer acht bleiben wie das kulturelle Leben und das Bildungswesen, und es ist nach etwa in der Stadt ansässigen sonstigen Institutionen zu fragen, und all das nicht mit Beschränkung auf die kommunalen Grenzen, sondern mit Blick auf die Verwobenheit der Stadt in einem großen Umfeld. Dabei ist nicht nur an die Region zu denken. Sicher sind hier die meisten Verbindungen zu suchen, aber letztlich hängt das Schicksal jeder Stadt von dem Schicksal des Staates ab, den sie angehört. Stadtgeschichte muß stets in engem Zusammenhang mit der allgemeinen Geschichte betrieben werden, und ein Historiker, der sich das nicht gebührend klarmacht, gerät in die Gefahr, Kuriositäten zusammenzustellen.

All die eben genannten Sektoren sind, betreibt man sie auf breiteren Untersuchungsfeldern, ausgewachsene Spezialfächer innerhalb des Gesamtfaches Geschichte oder sogar eigenständige Wissenschaften. Der Stadthistoriker muß sich bemühen, den von diesen Teildisziplinen oder Fachwissenschaften entwickelten Fragestellungen und Methoden gerecht zu werden. Er sieht sich also einer außerordentlichen thematischen und methodischen Vielfalt gegenüber. Das bedeutet, daß Stadtgeschichte ein Korrektiv gegen das auch in der Geschichtsforschung immer mehr sich aufdrängende Spezialistentum ist. Stadtgeschichte muß ganz und gar nicht Blickverengung, sie sollte im Gegenteil eine Erweiterung der Perspektive zur Folge haben, nicht nur in der sachlichen Breite, sondern auch in der zeitlichen Tiefe. Es ist sehr wohl denkbar, daß bei stadtgeschichtlicher Arbeit angesichts der Überschaubarkeit des Raumes das zeitliche Feld der Studien größer als bei anderen Themen wird. Jeder Historiker wird, wenn er sich einmal mit der Geschichte einer Stadt beschäftigt, methodisch und thematisch bereichert werden. Er lernt hinzu, und das ist zweifelsohne von erheblichem Wert für die allgemeine Geschichtsschreibung.

Soweit in aller Kürze zur Bedeutung unseres Gegenstandes für den Forschenden. Blicken wir nun auf die öffentliche Funktion der Historiographie und damit auf  

 

 

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