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lief sehr ruhig ab und nach seiner Beendigung
erschienen die Leute wieder, um ihre Fahne zu holen. Diese wurde ausgehändigt,
wobei die Wache präsentierte. Dann zogen die Republikaner still
zum Tore hinaus. Nachher erfuhren wir, daß der Bürgermeister
die Leute auf dem Rathause hatte zusammentreten lassen und ihnen eröffnet
hatte: "Wir sind von den Greismaranern so ehrenvoll empfangen worden,
daß es eine Schande wäre, wenn nur einer sich ungehörig
betrüge. Keiner geht in eine Wirtschaft! Nach der Aushebung wird
die Stadt ruhig verlassen, am Brunnen wird gefrühstückt und
dann geht's nach Hause!"
Am 9. November 1848 war Robert Blum in der Brigittenaue vor Wien erschossen
worden. Ein Schrei der Entrüstung ging durch Deutschland, wenn
auch manche der Ansicht waren, daß Blum als Mitglied des Parlaments
die Waffen zu gunsten der Aufständischen in Wien nicht habe ergreifen
dürfen. Dieser Ansicht waren auch die Vernünftigeren in der
Gesellschaft bei Kress und als es in Frage kam, ob wir uns an der in
Kassel, wie in vielen anderen Städten, geplanten Robert Blum-Feier
beteiligen sollten, kam es zu lebhaften Debatten. Die Republikaner siegten
aber und die Beteiligung wurde beschlossen. 10 Mann, darunter auch ich,
fuhren an dem betreffenden Sonntag mit der Eisenbahn nach Kassel und
marschierten dort unter Führung des Hauptmanns Dittmar und Leutnants
Bauer nach den Hallen1) am Königsplatz.
Wir trugen nur die Seitengewehre, führten aber die Fahne mit uns.
In den Hallen angelangt, wo sich die Hauptwache der Kasseler Bürgergarde
befand, wurden wir von dem Regimentskommandeur Seidler empfangen und
ersucht, die Fahne abzugeben, wobei er uns bedeutete, daß wir
gar kein Recht gehabt hätten, die Fahne mitzubringen, da diese
nicht über den Bezirk des Kommandos hinausgebracht werden dürfe,
am wenigsten von 10 Leuten. Das schmeckte bitter! wir wollten doch so
gerne unsere schöne Fahne sehen lassen!
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1) Das sog. Hallengebäude
stand an der Stelle des jetzigen Schollschen Kaufhauses.