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landschaftlich beschränkt. Die Soldatenlieder knüpfen vielfach an ältere Vorlagen an und das Volk macht sie sich für die Neuzeit zurecht. So werden Lieder, die auf Napoleon I. gesungen werden, auf Napoleon III. umgeändert. Eine Spezialität in Hessen sind Weinkaufslieder und Brautlieder; unter den hessischen Gesellschaftsliedern ist das bekannte: Ist alles dunkel, ist alles trübe, sogar unter dem Namen der Hessischen Marseillaise verbreitet. An geistlichen Stoffen ist das Volkslied arm; es ist jedenfalls die fromme Scheu, das Heiligste in das Alltägliche herabzuziehen. Die Volksliederpflege ist eine sehr schwierige, kaum zu lösende Aufgabe. Das Volkslied ist im Untergange begriffen. Es kann nur gedeihen in Ruhe und Abgeschlossenheit; solch innige Seelenprodukte hervorzubringen, dazu ist unsere Zeit des Luxus, der Zerstreuung und Unruhe, des Dampfrosses und der Fabriken nicht geeignet. Unser Bauernstand nimmt ab, sein Verkehr nimmt zu. Dadurch kommen Tingeltangellieder, Gassenhauer, fremde Soldatenlieder in die Dörfer und verdrängen die alten einfachen Volksweisen. Ebenso sind die landlichen Gesangvereine als Würgengel des Volksgesanges zu betrachten.

Der Herr Vortragende sprach sodann von seinen eigenen Sammlungen, wie es so schwierig sei, den misstrauischen Bauern die Schätze ihrer Lieder zu entlocken, wie er aber doch in seinen Sammlungen über 200 ungedruckte Volkslieder besitze und dass er namentlich eine reiche Melodieensammlung angelegt habe. Er hoffe, dass ihm noch einmal Musse gegeben sei, Lieder und Melodieen zu bearbeiten und herauszugeben. — Der Vorsitzende sprach die Hoffnung aus, dass Herrn Becker es vergönnt sein möge, diesen Plan auszuführen und versprach, dass durch Vereinsmittel die Kosten der Herausgabe, soweit dies irgend möglich sei, bestritten werden sollten, da es kaum eine den Vereinszwecken entsprechendere Aufgabe gäbe. Nach Beendigung seines Vortrags las Herr Kantor Becker noch verschiedene hessische Volkslieder aus seinen Sammlungen vor, auch manche Mittheilungen der zahlreich versammelten Vereinsmitglieder über Text und Melodie hessischer und anderer Volkslieder fanden statt.                 *

 

VII. Sitzung am 15. März 1901.

Sie galt ausschliesslich dem Gedächtnisse August Vilmars. Verschiedene Umstände hatten eine Feier zum Gedächtnisse seines hundertjährigen Geburtstages (2l. Nov. 1900) nicht zu stande kommen lassen, daher

 

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