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gerade das Interessante, wie sich das hessisch-fränkische Volkstum mit dem niedersächsischen vermengt und vermischt hat. Durch diese Vermischung unterscheiden sich die Bewohner dieses Landstriches ganz wesentlich sowohl von den eigentlichen Niederhessen, als auch von den umwohnenden Hannoveranern, Westphalen und Braunschweigern. An der Grenze ist immer Rivalität, und ich habe es oft beobachtet, dass die Jahrhunderte dauernde Zugehörigkeit zum hessischen Staate die ehemalige Stammesgemeinschaft mit den angrenzenden Niedersachsen fast völlig aus dem Bewusstsein der Leute verdrängt hat. Grenz- und Zollschranken haben die Abkömmlinge des einen Volksstammes völlig von einander geschieden. Verschärft sind diese Differenzen noch durch die besondern Konfessionsverhältnisse, die ja stets und überall von besondern Einfluss auf die Ausgestaltung des Volkslebens sind. Schon das Eine, dass Hessen die strenge Sonntagsheiligung hat, während jenseits der Grenze auch an Sonntagen lustig darauf los gearbeitet wird, hat viel dazu beigetragen, die Grenzgräben recht tief zu ziehen. Dass an der hessisch-westphälischen Grenze der Gegensatz zwischen Evangelisch und Katholisch erst recht lebhaft empfunden wird und besonders schwer wiegt, brauche ich nicht weiter hevorzuheben. Dazu kommt noch ein wirtschaftliches Moment: der Unterschied im Besitz, der auch schwer übersteigbare Scheidewände aufrichtet. — Aber so wenig wie sich die Bewohner des nördlichen Hessens als Niedersachsen fühlen, so wenig können sie ihre Zugehörigkeit verleugnen. Die Sprache ist ja ganz besonders entscheidend ; und unverkennbar ist die niederdeutsche platte Sprache noch im Volke im Gebrauch; rein platt wird wohl nur noch an der Grenze gesprochen, je näher man nach Cassel kommt, desto mehr verschwindet das Platt; aber Reste und Anklänge finden sich bis in die unmittelbare Nähe der hessischen Haupt- und Residenzstadt.

Ich müsste nun wohl versuchen, eine möglichst scharfe Scheidung der Sprach- und Stammesgrenze zwischen dem hessisch-fränkischen und dem nieder-sächischen [nieder-sächsischen] Volkstum zu geben, aber dazu sehe ich mich aus Mangel der dazu erforderlichen Kenntnisse völlig

 

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