Aktuelles: 60 Jahre Kriegsende - demokratischer Neubeginn - Wiederaufbau. Berichte und Bilder aus den Zweigvereinen
 
Die letzten Kriegstage in Wölfershausen
 

Als die amerikanische Armee am Karsamstag 1945 in das Werratal vorstieß, waren die wenigen deutschen Truppen völlig überrascht: Die Amerikaner kamen nicht wie erwartet über die Straße aus Richtung Friedewald oder Heimboldshausen, sondern zwischen beiden Straßen über den (Limmes-)Berg. Die insgesamt sieben, in dem kleinen Ort Wölfershausen stationierten deutschen Panzer brachten sich noch rechtzeitig in Stellung und die wenigen Soldaten zogen sich eilig in zuvor ausgehobenen Schützenlöcher zurück. Eine Verteidigung des Ortes wurde jedoch durch amerikanische Jagdbomber zunichte gemacht, denn diese gaben die Positionen der deutschen Bodentruppen über Funk an die amerikanischen Bodentruppen weiter. Schnell war klar, dass gegen die amerikanischen Streitkräfte kaum etwas auszurichten war. Deshalb entschied sich der 19-jährige Sudete Erich Sauter, der Richtschütze auf einem der sieben Panzer war, mit der letzten Granate den Geschützturm abzusprengen, so dass der Panzer nicht unversehrt in die Hände der amerikanischen Armee fallen konnte. Nachdem er sich versichert hatte, dass alle Kameraden in Sicherheit waren, sprengte der Richtschütze in der Nähe des Panzers stehend den Geschützturm. Als Erich Sauter versuchte, die schützende Deckung zu erreichen, wurde er von Teilen des Geschützturmes tödlich getroffen, konnte aber erst drei Tage später in Wölfershausen beigesetzt werden. Nach etwa drei Jahren ließ die Schwester des Richtschützens dessen sterbliche Überreste ins Sudetenland umbetten.

 
 
Konfirmanden des Konfirmationsjahrganges 1944 auf einem zerstörten Wehrmachtspanzer bei Wölfershausen.
 

Der Wölfershäuser Herbert Herrigt, der noch wenige Stunden vor dem Unfall mit dem Richtschützen gesprochen hatte, schoss das Bild nur einige Wochen später, als sich das Leben im Werratal bereits wieder – soweit möglich – normalisiert hatte. Es zeigt vier Konfirmanden des Konfirmationsjahrganges 1944 aus (Heringen-) Wölfershausen (v.l. oben: Georg Frodermann, Georg Führer, v.l. unten: Fritz Mohr, Ludwig Mohr). In den nächsten Monaten wurde immer wieder versucht, das Wrack zu zerlegen. Doch es sollte etwa drei Jahre dauern, bis die Nachkriegstechnik wirklich soweit war, um an den dringend benötigten Rohstoff zu gelangen.

 
Dagmar Mehnert/Herbert Herrigt, Zweigverein Bad Hersfeld
 
 
Geplante Flüchtlingshäuser in Hartenrod
 

Auch im ehemaligen Kreis Biedenkopf entstanden zu Ende der 1940er Jahre in zahlreichen Orten sogenannte „Flüchtlingshäuser“. In Hartenrod hatte der damalige Ortspfarrer Adam Initiativen in dieser Richtung entwickelt. Im Pfarrarchiv Hartenrod hat sich eine Folge von Bauplänen erhalten, welche der dortige Architekt Karl Pitzer angefertigt hatte. Der abgebildete Plan zeigt ein Einfamilien-Reihenhaus mit insgesamt sechs Einheiten. Jede Einheit besaß im Kellergeschoss zwei Kellerräume, im Erdgeschoss ein Wohnzimmer, eine Wohnküche mit angeschlossener Speisekammer und eine Toilette sowie im Obergeschoss zwei Schlafzimmer.

 
 

Wohl dazu gehört ein variierter Grundriss (nicht abgebildet), der zwar mehr, aber kleinere Räume vorsieht: im Kellergeschoss Waschküche und Wirtschaftskeller, im Erdgeschoss Wohnküche, zwei Stuben und ein außen angebauter Abort, im Obergeschoss drei Schlafräume und im Dachgeschoss ein Trockenboden. Sahen die bisher genannten beiden Vorschläge zwei Vollgeschosse vor, so beschränkt sich der dritte im Pfarrarchiv erhaltene Plan (nicht abgebildet) auf nur ein ausgebautes Geschoss. Er bietet im Erdgeschoss Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche und einen wiederum angebauten Abort, im ausgebauten Dachgeschoss sind Schlafzimmer, Kammer und ein schmaler Speicher untergebracht.

In Hartenrod wurde allerdings damals keiner dieser Pläne verwirklicht.

 
Gerald Bamberger, Zweigverein Biedenkopf
 
 
Ein seltenes Zeitdokument – Interzonen-Reisegenehmigung
 
 

Interzonen-Reisegenehmigung für Deutsche, hier für Herrn Christoph Heerdt (ausgestellt 1946 mit französischer (1.10.1946) und sowjetischer (21.9.1946) Passiergenehmigung über die Grenzen der Besatzungszonen hinaus durch den amerikanischen Stadtkommandanten Theodore Switty und Administrative Officer Kork, gültig bis 10.10.1947).

 
 

Herr Heerdt erhielt diese ungewöhnliche Reiseerlaubnis zu einem Zeitpunkt, als es Deutschen vielfach nicht erlaubt war, den eigenen Wohnort zu verlassen und für eine Reise in die benachbarte Besatzungszone ein Interzonenpass notwendig war, dessen Ausstellung Wochen oder Monate dauern konnte. Herr Heerdt, verheiratet mit Senta Heerdt, geb. Abt, wollte nach Theresienstadt fahren, um von dort seine Schwiegermutter Fanny Abt wieder nach Melsungen zurückzuholen. Sie hatte in Melsungen in der Kasseler Str. Nr. 22 gewohnt. Auf Grund der aus Theresienstadt erhaltenen Postkarten, die im August uns September 1944 geschrieben waren, glaubte Senta Heerdt, ihre Mutter sei noch am Leben und bereitete den Empfang mit einer Girlande und einem Schild Herzlich willkommen vor. In Theresienstadt erfuhr Herr Heerdt, seine Schwiegermutter war mit dem letzten oder vorletzten Transport nach Auschwitz gebracht worden.

 
Dieter Hoppe, Zweigverein Melsungen
 
 
Zerstörung der Kanonenbahnbrücke – 16 Waggons stürzten in die Fulda
 

Malsfeld. „Im Zweiten Weltkrieg setzten die Deutschen Güterwaggons aus ganz Europa ein, um Waffen, Kleidung und andere Dinge zu transportieren", erzählt Karl Mihm aus Malsfeld. Da die Waggons untereinander nur bedingt kompatibel gewesen seien, habe sich im März 1945 ein Unglück ereignet, dessen Spuren noch bis heute zu sehen sind. Kurz vor Kriegsende wurde dabei die Kanonenbahn-Brücke in Malsfeld zerstört. Kaiser Wilhelms schnelle Verbindung

Die als Kanonenbahn bekannte Eisenbahnlinie Berlin-Koblenz wurde auf Geheiß von Kaiser Wilhelm Ende des 19. Jahrhun­derts gebaut. „Der Kaiser wollte eine schnelle Verbindung von Berlin an die Französische Grenze", berichtet Mihm. Im Ersten Weltkrieg nutze man die Strecke, um Truppen und Material schnellstmöglich in Richtung Frankreich zu bekommen, was schließlich zu dem Namen Kanonenbahn führte. Als Teil der Kanonenbahn wurde 1879 das Malsfelder Viadukt eingeweiht, das als geschwun­gene Eisen­konstruktion in der damaligen Zeit als beachtlicher Ingenieur Leistung galt.

 
 
Als Zehnjähriger machte Karl Mihm das wohl einzige existierende Foto
von der zerstörten Kanonenbahn-Brücke in Malsfeld.
Foto: kh.
 

Als Zehnjähriger erlebte Mihm wie der erste Bogen der Kanonenbahn-Brücke nach einem Zugunglück in Schutt Asche lag. Zwar sei er nicht unmittelbarer Zeuge des Vorfalls gewesen, habe aber den gewaltigen Einschlag des Zuges gehört. „Wir dachten zu erst, es sind Fliegerbomben“, erinnert er sich. Ein enormes Feuer habe sich entwickelt, noch Wochen später hätten die Trümmer gequalmt. „Die Leute aus dem Unterdorf wurden damals ins Oberdorf ausquartiert, weil man Angst hatte, feindliche Flieger würden durch das helle Feuer angelockt", erzählt der Zeitzeuge und erinnert sich, wie sich das Unglück seinerzeit ereignete.

Es sei später Nachmittag, irgendwann im März 1945 als ein langgestreckter Güterzug von der Strecke Bebra-Kassel über das Hochgleis in Malsfeld auf die Kanonenbahn-Linie auffuhr. In Richtung Homberg fahrend habe der Zug vor dem Tunnel in Oberbeisheim Halt machen müssen, berichtet Mihm. „Beim Anfahren hat sich ein Teil des Zuges abgekoppelt." 16 Waggons hatten sich selbständig gemacht und rollten nun, zunehmend an Fahrt gewinnend, das Gefälle in Richtung Malsfeld zurück. „In Niederbeisheim hat man das gemerkt und den Bahnhof in Malsfeld verständigt", so Mihm. Die Malsfelder stellten die Weichen daraufhin so, dass die Waggons hätten in Richtung Spangenberg auslaufen können. „Hätte das geklappt, wäre ja nichts passiert", schildert der damals Zehnjährige. Doch mit dem Schwung seines rund zwölf Kilometer langen Talweges soll

te es der Zugteil nicht über die Weichen schaffen. Die Waggons entgleisten und stürzten über den Rand der Kanonenbahn-Brücke. Die Gewalt riss den ersten Brückenbogen mit sich. Es sei großes Glück gewesen, dass der Zug nicht, wie in Kriegsjahren üblich, mit Waffen und Munition beladen gewesen sei, sondern vorwiegend mit Kleidung, Zellwolle und Schuhen, meint Mihm, der mitbekam, wie meterhohe Flammen von der Unglücksstelle aufstiegen und den Himmel über Malsfeld in der Nacht erleuchteten. „Durch die Hitze des Feuers", erklärt der Zeitzeuge, „sind damals die Sandsteine am Brückenpfeiler abgeplatzt, was man heute noch sieht."

Zweigverein Melsungen
 
 
Ostern 1945 in Spangenberg
 

Den Einmarsch der Amerikaner vor 60 Jahren erlebte Dr. Ehrhart Appell als 11-jähriger Junge

Wenn ich über die Zeit berichten soll, sind mir einige Erlebnisse noch besonders in Erinnerung geblieben. Als das Kriegsende im Kreisteil Melsungen nahte, war ich war ich bereits ein Jahr im „Jungvolk“ und hatte die übliche paramilitärische Ausbildung erfahren: Exerzieren auf dem Schulhof mit den gängigen Befehlen „angetreten, Augen rechts, richt' Euch, abzählen, Augen geradeaus, rechts schwenk marsch, im Laufschritt marsch, marsch, ein Lied! (z. B. ‚Es zittern die morschen Knochen' – von uns abgewandelt in ‚Es zittern in Morschen die Knochen')“.

Bei Geländespielen mussten wir die hinter aufgetürmten Ästen imitierte „Festung“ eines anderen Jungzuges „erobern“ – Nahkampf mit Knüppeln usw. Die „Hitler-Jungen“ sollten ja „hart wie Kruppstahl“ und „flink wie Windhunde“ erzogen werden.

Mit dem Fahrtenmesser auf Suche nach anglo-amerikanischen Fliegern

Kurze Zeit vor dem Einmarsch der Amerikaner war ein vier­motoriger anglo-amerikanischer Bomber abgeschossen worden und in den Wäldern nördlich von Mörshausen abgestürzt. Es wurde berichtet, es seien noch Flieger mit dem Fallschirm abgesprun­gen, die nun gesucht und gefangen genommen werden sollten. Und so wurden wir Jungvolk-Jungen, mit Fahrtenmessern ausgestattet, in die Wälder geschickt, bildeten Schützenketten und suchten nach den angeblich abgesprungenen Soldaten.

Einige Soldaten konnten offenbar erst sehr spät abspringen, so dass sich der Fallschirm gar nicht mehr geöffnet hatte und sie nun tot oben in den Bäumen an den Lei­nen ihrer Fallschirme hingen. Die anderen Besatzungsmitglieder waren in dem Flug­zeug, das beim Aufschlag Feuer gefangen hatte, verbrannt, in der Glut geschrumpft, verkohlt und schrecklich anzusehen.

Die Amerikaner und Engländer hatten ja schon seit langem die absolute Lufthoheit. Und so konnten wir einen Luftkampf mit ansehen. Ein deutsches Jagdflugzeug – Me 109 – hatte sich gleichwohl in die Luft gewagt und war sofort von anglo-amerikanischen Flugzeugen angegriffen worden. Der deutsche Pilot vollbrachte noch eine Notlandung auf einer Wiese im Dörnbach und flüchtete aus der Maschine in den nahen Wald, was ihm auch gelang, obwohl er von den feindlichen Flugzeugen noch mit Bordwaffen beschossen wurde.

 
 
Abgeschossenes deutsches Jagdflugzeug – Me 109.
 

Nazi-Hektik zum Kriegsende

Einige Tage vor dem Einmarsch der Amerikaner wurde mir befohlen, einen Stellungsbefehl für den „Volkssturm“ dem späteren Landrat Karl Waldmann zu überbringen, der mit seiner jüdischen Frau und Enkelkindern in einem Jagdhaus bei Kaltenbach wohnte. Offenbar war ich dazu ausgewählt worden, weil ich – was damals eine Seltenheit war – ein Fahrrad mein eigen nennen konnte. Ich habe Herrn Waldmann dann aber nicht angetroffen.

Zu dieser Zeit wurden auch einige als Kommunisten und Sozialdemokraten bekannte Mitbürger in Haft genommen, aber nach einigen Tagen wieder freigelassen. Was sie – wohl in einem Konzentrationslager – erleben mussten, haben wir nie erfahren.

Während des Krieges befand sich im Schloss und im so genannten Kreisgut in Elbersdorf ein Gefangenenlager für britische Offiziere. Sie erhielten regelmäßig Pakete aus England – wohl über das Rote Kreuz, und ich erinnere mich daran, dass wir Kinder im Winter – vom Schlossberg herunter – Offiziere auf unseren Rodelschlitten mitnahmen und von ihnen Schokolade und Bonbons bekamen. Als letzter fuhr dann der deutsche Wachsoldat – mit seinem Karabiner – mit uns ins Tal.

Diese Kriegsgefangenen wurden dann – wohl am Gründonnerstag – nach Osten in Marsch gesetzt. Für nicht gehfähige und das persönliche Gepäck mussten Landwirte Pferdefuhrwerke zur Verfügung stellen.

In Jabo-Angriff geraten

Am Ostersamstag sahen wir, dass amerikanische Jabos (Jagdbomber) deutsche Militärlastwagen auf der Straße von Melsungen, nahe vor dem Ortseingang Spangenberg in Brand schossen. Zumindest ein LKW stand in hellen Flammen. Er hatte Benzinkanister geladen, von denen einer nach dem anderen explodierte, wobei sich jeweils riesige Feuer- und Rauchpilze am Himmel bildeten.

Neugierig, wie ich war, schwang ich mich auf mein Fahrrad und fuhr los. Plötzlich tauchten wieder Jabos auf, und ich ging gegenüber der Tankstelle Hoppach (heute Mücke) am Böschungsufer der Pfieffe in Deckung. In der Neustadtstraße auf Höhe der Häuser Siebert, Blumenstein, Sonntag standen deutsche Schützenpanzerwagen, die sofort von den Jabos mit Bomben und Bordwaffen angegriffen wurden. Dabei hatte ich das Gefühl, die Bomben würden genau auf mich zusegeln.

Als die Flugzeuge ihre Bomben abgeworfen hatten, entdeckten sie dann noch auf der Scholle (Siedlung „Eigene Scholle“ – heute Heinrich-Stein-Siedlung) – ganz in meiner Nähe – ein deutsches Infanteriegeschütz, das sofort mit Bordwaffen beschossen wurde. Die Kugeln pfiffen auch um mich herum. Ich hatte natürlich furchtbare Angst. Später wurde mir dann von einem Landser erklärt, dass, wenn die Kugeln pfeifen, die Gefahr vorüber sei. Ich registrierte dann noch, dass auf dem Teichwiesengelände gegenüber ein deutscher Offizier mit einer Pistole auf die Jagdbomber schoss, was natürlich ohne jede Wirkung bleiben musste.

Nachdem die Jabos abgedreht hatten, verließ ich meine Deckung und sah, dass in der Neustadt, wo auch mein Elternhaus stand, großes Chaos herrschte. Einige Häuser waren vollkommen zerstört, Balken, Ziegel und Backsteine lagen kreuz und quer auf der Straße herum, und es brannte dort. Ein Durchkommen zu meinem Elternhaus schien unmöglich. Und so musste ich am Schlossberg entlang durch den Garten von hinten unser Haus erreichen, was Gott sei Dank nicht zerstört war.

Einmarsch der Amerikaner

Melsungen war wohl am Ostersamstag schon eingenommen worden, die amerikanischen Spitzenverbände näherten sich der Stadt Spangenberg, und meine Mutter begab sich mit uns drei Kindern sowie einigen Nachbarn in den noch unter der Backstube liegenden Keller der Bäckerei Kerste. Von dort hörten wir dann Einschläge, MG- und Gewehrfeuer. Natürlich hatten wir alle große Angst.

Irgendwann wurde es ruhig, und plötzlich kamen einige amerikanische Soldaten mit Gewehr im Anschlag in den Kellereingang, darunter auch schwarze, was unsere Angst noch verstärkte, hatten wir doch noch nie Farbige gesehen. Die Soldaten stellten dann aber fest, dass sich in dem Keller nur Frauen und Kinder befanden und zogen wieder ab.

Plötzlich waren unsere Mutter und der Bäckermeister Kerste verschwunden. Sie hatten gesehen, dass es in unserem Haus brannte, sich über die Straße durch die Panzer und Soldaten einen Weg in unser Haus gebahnt. Dort warfen sie Bettwäsche, die durch Leuchtspurmunition in Brand geraten war und stark qualmte, kurzerhand aus dem Schlafzimmerfenster.

Als wir aus dem Haus Kerste heraustraten, sahen wir, dass der Dachstuhl unseres Nachbarhauses lichterloh brannte und das Schloss in hellen Flammen stand.

Da sich in unserem Haus die damalige Vereinsbank befand, wurde es von den Amerikanern nicht bezogen, sondern mit Schildern „Off limits to all troops“ – „Betreten für alle Truppen verboten“ – versehen.

Wir Kinder gewöhnten uns relativ schnell an die Besatzung, zumal sich die amerikanischen Soldaten sehr kinderfreundlich zeigten, uns Bonbons und Kaugummis schenkten und uns in ihren Jeeps mitfahren ließen.

An einigen Stellen in der Gemarkung standen noch zerschossene deutsche Schützenpanzer und Militärfahrzeuge herum, an denen wir uns zu schaffen machten und nach Brauchbarem suchten. Am Güterbahnhof lagen die Trümmer abgeschossener Flugzeuge. Auch diese wurden von uns durchsucht, wobei wir uns merkwürdigerweise vor allem für das Plexiglas aus den Flugzeugkanzeln interessierten. Wenn man ein Streichholz daran hielt, geriet es schnell in Brand, entwickelte starken Rauch, roch süßlich und nahm seltsame Formen an.

Spangenberger Jäger und Schützen mussten ihre Gewehre abgeben. Die Gewehrkolben wurden zerschlagen und die Flintenläufe irgendwo hingelegt, wo wir sie einfach wegnehmen konnten. Ich erinnere mich, dass einige Freunde und ich die demolierten Waffen in einem Koffer an den amerikanischen Soldaten vorbei zu ehemaligen polnischen Fremdarbeitern brachten und sie diesen verscherbelten. Hoffentlich wurde damit kein Unheil angerichtet.

Weinhandel mit den Amerikanern

Überhaupt blühte ja der Schwarzhandel, und jeder versuchte, etwas für sich zu organisieren. Ich verlegte mich damals auf den Weinhandel mit den Amerikanern: Meine Großeltern Siebert hatten am Obertor eine Mosterei, und dort befand sich noch ein Ballon mit 20 bis 25 Litern Apfelwein. Diesen holten mein Freund Karl August Meurer (bis vor einigen Jahren als Prof. Dr. med. K. A. Meurer Chefarzt der Inneren Abteilung der Melsunger Klinik) und ich auf dem Handwagen in die Neustadt. Seine Eltern betrieben einen sogenannten „Kolonialwarenladen“, der vor dem Krieg Wein in Fässern zum Abfüllen auf Flaschen bezogen hatte.

Wie es der Zufall so wollte, fanden wir in Meurers Weinkeller ein Korkstopfengerät und ein Sorti­ment alter Weinetiketten. Wir füllten unseren Apfelwein also in Flaschen ab, verkorkten diese und versahen sie mit Etiketten wie „Liebfrauenmilch“, „Niersteiner Gutes Domtal“, „Zeller Schwarze Katz“ und „Kröver Nacktarsch“, alles Namen der damals gängigen Weine. Die amerikanischen Soldaten waren ja scharf auf Alkoholitäten und kannten sich mit den deutschen Weinen nicht sonderlich aus. So konnten wir dann den Apfelwein als Rhein- oder Moselwein in den Quartieren gut absetzen und erhielten dafür Kaugummi, Schokolade, Nescafé, Palmolive-Seife und Zigaretten (als Vorrat für unsere damals noch in Gefangenschaft befindlichen Väter).

Gefährliche Spiele

Ein nicht ganz ungefährliches Lausbubenstück, das aber ernste Folgen hätte haben können, will ich noch schildern. In einem Gras- und Obstgarten am Schafhof waren deutsche Munitionsvorräte zusammengetragen worden, die von einem Hilfspolizisten bewacht werden sollten. Nun hatten wir ja bei unserer paramilitärischen Ausbildung im Jungvolk gelernt, uns unauffällig im Gelände zu bewegen und jede Deckung beim Anschleichen auszunutzen. So holten wir uns dann kleine Säckchen mit Pulver, das wohl für Granatwerfermunition bestimmt war. In der Schafgasse war ein Haufen Bausand. Wir bauten daraus eine – innen hohle – Burg, füllten diese mit Pulver und legten eine Zündschnur nach außen. Als von weitem ein amerikanischer Konvoi sichtbar wurde, steckten wir die Zündschnur an und waren sehr schnell und unauffindbar am Schlossberg verschwunden. Der Sandhaufen ist dann explodiert, als die Amerikaner sich näherten, und hat sicher – gelinde gesagt – zu Irritationen geführt.

Schwierige Lebensverhältnisse

Anzumerken sei noch, dass damals auch in Spangenberg große Wohnungsnot herrschte. Vielen Evakuierten aus dem zerbombten Kassel waren Zimmer zugewiesen worden, die Familien, deren Häuser in den letzten Kriegstagen in Spangenberg zerbombt oder ausgebrannt worden waren, benötigten Wohnraum, und später mussten dann die Flüchtlinge und Vertriebenen untergebracht werden. Unsere Wohnung mit damals etwa 90 qm beherbergte zeitweise 15 Personen.

Bereits vor dem Einmarsch der Amerikaner waren ständig Flüchtlinge aus dem Osten durch Spangenberg gezogen. Einige Zeit später setzte dann ein neuer Flüchtlingsstrom ein – wohl überwiegend Menschen, die aus Thüringen kamen und vor den Russen fliehen wollten. Die Amerikaner hatten ja zunächst Thüringen besetzt und dann mit den Russen gegen das von diesen besetzte Westberlin ausgetauscht. Wenige Flüchtlinge kamen mit Fuhrwerken, die meisten mit Hand- oder Kinderwagen, in denen sie ihre geringe Habe mitführten. Da unser Hof direkt an der Durchgangsstraße von Hessisch-Lichtenau nach Melsungen lag, machten viele von ihnen bei uns Rast. Sie wurden von unseren Müttern mit Wasser und etwas Essbarem, mit Kinderkleidung usw. – soweit uns dies möglich war – versorgt.

Natürlich waren die Schulen geschlossen. Einige Lehrer gaben Privatunterricht, und ich erinnere mich daran, dass dies zeitweise in einem Raum der alten Elbersdörfer Volksschule geschah. Und neben dem Schulgeld hatten wir Brennholz mitzubringen, damit es einigermaßen warm wurde.

Wir 10- und 11-jährigen Kinder fanden das Kriegsende voller Erlebnisse und Abenteuer und sind in Spangenberg ja auch glimpflich davongekommen - vor allem auch im Vergleich mit Gleichaltrigen, die zum Beispiel aus Ostpreußen flüchten mussten oder aus dem Sudetenland vertrieben worden waren, und von deren schweren Schicksalen wir erst nach und nach erfuhren.

Dr. Ehrhart Appell, Melsungen, 3. März 2005
 
 
Der Mittelhof bei Gensungen
 

Die Domäne Mittelhof bei Gensungen, im späten Mittelalter der Wirtschaftshof der Karthause Eppenberg am Heiligenberg, später ausgebaut zum Jagdschloss von Landgraf Moritz, war Ziel- und Sammelpunkt von Flüchtlingen aus den deutschen Ostgebieten.

Ab Dezember 1944 trafen die zumeist adligen Familien aus dem Bekannten- und Verwandtenkreis der Pächterfamilie Hayessen (ein Sohn der Familie, Egbert, gehörte zum Kreis der Männer des 20. Juli) auf dem Mittelhof ein. Unter den aufgenommenen Personen befand sich auch die heute bekannte Schauspielerin Gila von Weitershausen, damals ein Kleinkind, mit ihren Eltern.

 
 

Die letzten Flüchtlinge verließen Anfang der 50er Jahre die Domäne. Die Pächterfamilie Hayessen gab das Gut in den 60er Jahren auf. Das Bild zeigt das Herrenhaus der Domäne (kunsthistorisch interessant: der einzige noch heute erhaltene Bau in italienischer Renaissance nördlich der Alpen) mit einigen Wirtschaftsgebäuden im Frühjahr/Sommer 1945.

Zweigverein Felsberg
 
 
60 Jahre nach Kriegsende in Frankenberg
 

Noch wenige Wochen vor Ende des ohnehin verlorenen Zweiten Weltkrieges planten die US-Streitkräfte auf ihrem Vormarsch nach Osten die Vernichtung des immer noch strategisch wichtigen Bahnknotenpunktes Frankenberg. Beim ersten Angriff am 12. März 1945 wurden Bahnhof und Bahngeleise nur unwesentlich beschädigt. Aber die Fabrik der Gebrüder Thonet (im Bild), mit der die Bahnstrecke Marburg-Frankenberg und überhaupt die moderne Industrie 1890 in Frankenberg Einzug gehalten hatte, wurde völlig vernichtet. Bei diesem ersten Angriff starben etwa 80 Personen. Fünf Tage gab es einen zweiten schweren Angriff, der noch einmal etwa 15 Todesopfer forderte. Nur mühsam erholte sich die Firma Thonet von ihrem Kriegsschaden in Höhe von etwa 4 Millionen Mark. Noch in den Trümmern wurde nach Kriegsende mit der Produktion eines ganz einfachen Küchenstuhles mit Sprossen begonnen.

 
 
Zerstörte Fabrik der Gebr. Thonet in Frankenberg 1945.
 
 
US-Streitkräfte entschärfen Frankenberger Munitionsanstalt.
 

Nur durch großes Glück entging die Frankenberger Region einer Katastrophe, weil erst zwei Tage nach Einmarsch der Amerikaner die Frankenberger Luft-Munitionsanstalt im Wald bei Wiesenfeld entdeckt und kampflos übergeben wurde. Hier lagerten Kampfstoffe aller Art, insbesondere zur Abfüllung in Bomben bestimmtes Nervengas. Unter Aufsicht der US-Besatzungssoldaten wurden diese Kampfmittel geräumt (unser Foto) und entschärft, die leeren Bunker fast sämtlich gesprengt. Durch intensiven Verhandlungseinsatz von Landrat Dr. Ulrich Stapenhorst gelang es, die noch unzerstörten Produktionshallen der Munitionsanstalt zu erhalten und sie für Gewerbegründungen von vorwiegend heimatvertriebenen Familien zur Verfügung zu stellen. So entstand hier der „Industriehof“, der spätere Ortsteil Burgwald.

Zweigverein Frankenberg