Mit Schwertern und mit Stangen. Prof. Dr. David Mayes (USA) berichtete über den „Kirchhoftumult“ in Frankenberg

Frankenberg. Es gab nicht nur den spektakulären „Marburger Kirchentumult“ im Jahr 1605, bei dem aufgebrachte Bürger gegen die „Verbesserungspunkte“ des reformierten Landgrafen Moritz von Hessen-Kassel revoltierten, indem sie die Pfarrkirche stürmten und den Pfarrer Valentin Schoner mit seinen Anhängern verprügelten. Auch in Frankenberg, so berichtete bei einem Gastvortrag in der dortigen Liebfrauenkirche Prof. Dr. David Mayes von der Sam Houston State Universität (Texas), kam es genau 100 Jahre später noch zu einer viel schwereren, teilweise sogar mit Waffen geführten Auseinandersetzung zwischen lutherischen und reformierten Christen auf dem Kirchhof.

Dieses dramatische Frankenberger Ereignis als langfristige Folge der konfessionellen Polarisierung durch den kalvinistischen Moritz den Gelehrten war in der hessischen Kirchengeschichte bisher nicht bekannt. Der amerikanische Historiker Mayes war während seiner Studien in Deutschland erstmals auf diesen Vorgang gestoßen und hatte dabei im Marburger Staatsarchiv 1500 Protokollseiten ausgewertet, die von den Verhören der Frankenberger Tumult-Täter mit beeindruckendem Detailreichtum erhalten geblieben sind. Die Zuhörer seines Vortrags in der Liebfrauenkirche zeigten sich erschüttert von der Gewalt, zu der damals infolge der staatlich erzwungenen Konfessionalisierung überzeugte Gläubige fähig waren.

 
 
Ein Jahr, nachdem der Bürger Jacob Dornseiff 1705 bei dem Frankenberger Kirchhoftumult beteiligt gewesen war, wurde er auf diesem Kirchhof beigesetzt. Ruth Piro-Klein, Prof. David Mayes, Pfarrer Christoph Holland-Letz und Karl-Hermann Völker besichtigten den Schauplatz der Prügelei. Foto: Georg Braun
 

Und so begann alles: Hatte die reformierte Gemeinde Frankenbergs anfangs in der Kapelle des Klosters St. Georgenberg und ab 1662 in der Hospitalkirche ihre Gottesdienste gehalten, so erließ Landgraf Karl ein „Simultaneum“, das ihr jetzt  auch die Benutzung der lutherischen Pfarrkirche erlaubte. Für die Lutheraner ging es nach jahrzehntelangen Spannungen nun darum, „ein Albtraumszenario abzuwenden, dass die Reformierten Einzug in ihrer Kirche hielten und dort Gottesdienst feierten“, wie Prof. Mayes berichtete.

Als am Sonntag, 4. Januar 1705, die reformierten Bürger Theophilus Mentzler und Werner Munch erstmals zum Mittagsgottesdienst in die Liebfrauenkirche gehen wollten, wurden sie am Kirchhoftor von fünf wütenden Lutheranern angegriffen und zu Boden geworfen. Die Schuljungen mit dem reformierten Schulmeister hatten bereits den Turm besetzt, läuteten die Glocken, wurden aber von lutherischen Schülern attackiert. Leute strömten herbei, lutherische Frauen brachten ihren Männern Stangen und Zaunlatten als Kampfwerkzeug. Mehrfach waren bei der ausgebrochenen Schlägerei Rufe zu hören wie „Ich bitte euch, bringt ihn nicht um!“, schilderte Prof. Mayes. Später griffen bewaffnete Soldaten des Landgrafen mit ein, Jacob Dornseiff entriss einem von ihnen triumphierend das Schwert. Es gab viele Verletzte.

 
 
Vor einem großen Zuhörerkreis schilderte der amerikanische Historiker Prof. David Mayes in der Frankenberger Liebfrauenkirche den erbitterten Konflikt zwischen Lutheranern und Reformierten im Jahr 1705.
 

Tagelang hielten die Lutheraner in Frankenberg danach noch „ihre“ Kirche besetzt. Landgraf Karl ließ durch den Kommissar Werner Pagenstecher Rädelsführer und Täter ermitteln, vorwiegend Lutheranern wurden Geldstrafen auferlegt und ein paar Schuljungen mussten sogar ins Gefängnis.

Erst 1959 gelang der Zusammenschluss der lutherischen und reformierten Kirchengemeinden in Frankenberg, nachdem ein erster Vereinigungsversuch von 1817 bereits 1835 mit einer erneuten Trennung geendet hatte. Darauf wies Pfarrer Christoph Holland-Letz zu Beginn des Vortragsabends hin. „Wir haben uns inzwischen glücklicherweise weiter entwickelt“, betonte er und nannte erfolgreiche ökumenische Ansätze. Karl-Hermann Völker vom Frankenberger Geschichtsverein, der anschließend die lebhafte Diskussion leitete, äußerte  deutlich große Anerkennung, dass erst ein amerikanischer Kirchenhistoriker diese dramatischen Frankenberger Ereignisse so gründlich aufgearbeitet habe.

Jürgen Siegesmund