Buntglasfenster in Frankenberg, Haina, Netze und Neu-Berich – Vortrag von Dr. Peter Witzel |
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Die leuchtenden Farben der gotischen Buntglasfenster wurden durch die ansprechende
Bildpräsentation von Dr. Peter Witzel besonders sichtbar. Fotos: Karl-Hermann Völker |
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Sie faszinieren bis heute, die gerade in der Gotik verbreiteten Buntglasfenster in Kirchen. Und so strömten mehr als 70 Besucher in die Mauritiuskapelle des Kreisheimatmuseums, um sich gerade über die Fenster in der Liebfrauenkirche zu informieren, die restauriert werden sollen. Der Geschichtsverein hatte mit Dr. Peter Witzel aus Korbach einen namhaften Fachmann gewonnen, der in seinem fast zweistündigen Vortrag lebendig wie anschaulich in die Welt des Mittelalters entführte.
Er zeichnete zunächst die lange Geschichte der Glasproduktion nach. Schon früh nutzten die Menschen natürliches Glas wie Obsidian als Schmuck oder als Spitzen von Jagdwaffen. Erste Erfahrungen sammelten sie beim Glasieren von Keramiken. Aus der Zeit um 650 vor Christus sind aus Assyrien die ersten Rezepte zur Glasherstellung überliefert, schon damals nutzten die Handwerker Soda, um die Schmelztemperatur von 1700 auf 1000 bis 1200 Grad zu senken. Kreide gaben sie zum besseren Formen dazu.
Im zweiten vorchristlichen Jahrhundert wurde die Glasbläserpfeife entwickelt. In der frühen römischen Kaiserzeit stand die Glaskunst in Blüte, Weiß- und Buntgläser in hoher Qualität und mit reichen Verzierungen beeindrucken bis heute, etwa das Kameenglas. Nördlich der Alpen seien zuerst um 800 in Graubünden Buntglasfenster geschaffen worden, berichtete Dr. Witzel. Es sei einfacher herzustellen als weißes Glas.
Mit Illustrationen aus dem 16. Jahrhundert zeigte er die Schritte zur Herstellung von Flachglas, das nach zweimaligem Schmelzen ausgerollt wurde. Dann wurden die Stücke in der gewünschten Größe und Form zurecht gebrochen und in H-förmige „Bleiruten“ gefasst.
Glasmaler bearbeiteten die bunten Stücke. Dabei hätten sie zunächst nur eine Farbe gehabt: Schwarzlot. Mit Pinseln zeichneten sie damit Konturen von Figuren oder Ornamenten auf – oder sie brachten es großflächig aus und kratzten dann Muster heraus. Danach wurde die Farbe bei Temperaturen um 500 Grad „aufgeschmolzen“. Im 14. und 15. Jahrhundert kamen auch Eisenrot und Silbergelb dazu.
Einen regelrechten Siegeszug trat das Buntglas mit dem Übergang von der Romanik zur Gotik an: Statt dicker Mauern und kleiner Rundbogenfenster gab es kaum noch Mauern, dafür riesige Fenster, die mit Bildfeldern ausgeschmückt wurden.
Das filigrane „Maßwerk“, also der steinerne Fensterrahmen, sei am Boden vorgefertigt worden, um die Passgenauigkeit zu gewährleisten, berichtete Dr. Witzel. Für die Bildmotive hätten die Glasmaler Schablonen aus Pappe oder weiß gekalktem Holz in Originalgröße als Vorlage verwandt. Da die Bleieinfassung wenig stabil war, wurden die Fensterscheiben noch mit Quereisen und „Sturmstangen“ verstärkt.
Waren die teuren Glasfenster zunächst in Kirchen zu finden, wurden sie im hohen Mittelalter auch zunehmend in Profanbauten verwendet. Verbreitet waren Wappen- oder Kabinettfenster, sie seien auch ein beliebtes Geschenk gewesen.
Im Kreis sind noch an vier Standorten mittelalterliche Buntglasfenster erhalten: in der Hainaer Klosterkirche, in der Frankenberger Liebfrauenkirche, in der Netzer Klosterkirche und in der vor 100 Jahren wiederaufgebauten einstigen Klosterkirche in Neu-Berich. |
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Dornenkrönung – ein Detail aus einem Fenster in der Frankenberger Liebfrauenkirche. |
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Die Klosterkirche zu Berich
Die Saalkirche des Bericher Klosters aus dem Beginn des 12. Jahrhunderts wurde vor etwa 100 Jahren abgebrochen, als das Dorf für den Bau der Edertalsperre aufgegeben und die Einwohner umgesiedelt wurden. Um zwei Joche verkürzt wurde sie im neuen Dorf bei Wetterburg wieder aufgebaut und am 7. Juni 1914 wieder geweiht.
Der Chor erhielt beim Wiederaufbau eine neue, reiche Buntverglasung im Stil der Zeit. Drei Scheiben seien noch mittelalterlich, berichtete Dr. Witzel:
- Die Madonna mit dem Jesuskind. Am Rand hat sich ein „Fra Johannes“ als Maler oder Stifter verewigt.
- Die heilige Margarethe mit Buch und Palmenzweig – sie sei wegen der Blickrichtung seitenverkehrt eingebaut worden.
- Die heilige Katharina als Patronin mit Kirchenmodell und Rad in der Hand.
Die beiden Heiligen seien vermutlich nach der gleichen Schablone entstanden, erklärte Dr. Witzel, nur die Attribute seien abgewandelt worden. Auffällig sei zudem, dass die Maria der Darstellung in der Marburger Elisabethkirche entspreche, möglicherweise habe eine der drei Glaswerkstätten in Marburg auch Berich beliefert.
Beim Wiedereinbau 1913/14 habe das Trio eine „Rahmenarchitektur“ erhalten, die der mittelalterlichen Glasmalerkunst gut nachempfunden sei. Fürst Friedrich II. und seine Frau Bathildis gaben sie bei dem Marburger Glasmaler Schultz und Söhne in Auftrag, daran erinnern die Wappen des Paares.
Die beiden Seitenfenster des Chores seien Stiftungen bedeutender Waldecker:
- Der Korbacher Chirurg Prof. Hermann Kümmell stiftete das Fenster des „barmherzigen Samariters“ mit Schloss Waldeck als Hintergrund – die Familie seiner Frau stammt aus Berich.
- Der Greifswalder Theologe, Kirchenhistoriker, Archäologe und waldeckische Geschichtsschreiber Prof. Victor Schultze spendete das Fenster mit dem „reichen Fischzug Jesu“ – den er vom See Genezareth ins Edertal verlegte, wieder ist Schloss Waldeck zu sehen.
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Zwei Sibyllen mit Spruchbändern aus der Liebfrauenkirche. |
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Die Klosterkirche zu Netze
In Netze stifteten die Grafen Volkwin und Adolf von Waldeck 1228 ein Kloster. Deren Kirche „Maria im Thale“ hat zwei Schiffe und die Nikolaus-Kapelle, in der sich die Regenten auch bestatten ließen. Der Gymnasiallehrer und Geschichtsforscher Louis Curtze beschreibt Mitte des 19. Jahrhunderts noch sechs mittelalterliche Fenster. Drei von ihnen kaufte der Pfarrer Hermann Schulze, der Vater von Prof. Victor Schultze.
Als die Gemeinde um die Jahrhundertwende Kunstgegenstände aus der Kirche verkaufen wollte, ließ Fürst Friedrich II. alle beweglichen Güter nach Arolsen bringen – auch die restlichen drei Fenster. Nach einer Sanierung in den 1970er-Jahren erstattete das Fürstenhaus die Gegenstände zurück, darunter auch die Fenster. Zwei haben Ornamentmuster, eines ein Bildmotiv. Sie seien nicht gut erhalten und durch Korrosion sehr dunkel, sagte Dr. Witzel.
Die Klosterkirche zu Haina
In Haina erhielten Mönche des Zisterzienserordens 1215 die Erlaubnis zum Bau eines Klosters. Gut 100 Jahre sei an der dreischiffigen Basilika gebaut worden, berichtete Dr. Witzel – nach romanischen Anfängen im Chor ging es gotisch weiter.
Nach dem Schlichtheitsgebot des Ordens wurden die ersten, um 1250 entstandenen Fenster in der Grisaille-Technik rein „grau in grau“ gehalten, dabei haben sich vermutlich Glasmaler wie „Lupuldus Frater“ mit ihrer Signatur verewigt. Zu sehen sind nur Ornamente wie Flechtbänder, wie sie auch aus der Elisabethkirche bekannt sind, figürliche Darstellungen fehlen.
Im Laufe der Zeit seien die Fenster immer bunter und die Muster vielfältiger geworden, berichtete Dr. Witzel. Die insgesamt 19 Fenster wiesen mehr als 300 Bildfelder auf. Nach der Klosterauflösung in der Reformation kümmerte sich niemand groß um die Fenster, erst im 19. Jahrhundert sei der Gedanke der Denkmalpflege aufgekommen. 1849 bis 1865 habe der Fuldaer Gymnasiallehrer Friedrich Lange die Fenster restauriert – und dabei sämtliche Scheiben umgesetzt, keine habe mehr ihren mittelalterlichen Platz. Ebenso unbekümmert ersetzte er schadhafte oder fehlende Stücke, und an der Westfassade schuf er gleich ein neues Fenster mit einem Ritter und einem Burgfräulein als Motiv. |
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So sollen die neun erhaltenen Fenster mit Motiven aus der Passion Jesu nach ihrer Restaurierung 2012
in der Frankenberger Liebfrauenkirche in einem Fenster angeordnet werden. |
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Die Liebfrauenkirche
Als die Frankenberger 1286 mit dem Bau ihrer dreischiffigen gotischen Liebfrauenkirche begannen, holten sie vermutlich Fachleute aus der Marburger Bauhütte für die gerade fertiggestellte Elisabethkirche. Ungewöhnlich: Begonnen wurde im Westen, während im Osten die alte Kapelle vorerst stehen blieb. Den Chor und die Marienkapelle schuf Meister Tyle von Frankenberg. Im calvinistischen „Bildersturm“ 1605/06 wurde viel Figurenschmuck vernichtet, die einst vermutlich komplett bunten Fenster wurden durch den großen Stadtbrand 1476, durch Kriege und Stürme zum große Teil zerstört.
Nur zwölf mittelalterliche Scheiben blieben erhalten. Bei der großen Kirchenrenovierung Ende des 19. Jahrhunderts wurden sie im zentralen Chorfenster oben angeordnet, nach einer Restaurierung der 1950er-Jahre in der unteren Reihe der Chorfenster nebeneinander gestellt.
Nach der derzeit anstehenden erneuten Restaurierung sollen die neun Passionsscheiben wie berichtet in der Mitte des zentralen Chorfensters ihren Platz finden, flankiert von den beiden Sibyllen sowie von der Pelikan-Scheibe aus dem Südportal.
Dr. Witzel stellte die zwölf um 1250/60 entstandenen Fenster vor, dabei nutzte er digital nachbearbeitete Fotos von Karl-Hermann Völker. Die neun Scheiben aus dem Passionszyklus bestehen aus von Perlenkränzen umgebenen Medaillons mit Motiven aus Jesu Leben und blauen und roten Rauten als Hintergrund. Hinzu kommen oben und unten gotische Schmuckornamente. Die Bilder zeigen:
- Christus vor König Herodes, der mit Krone und Szepter dargestellt wird.
- Die Geißelung Jesu, der an eine Martersäule gebunden ist.
- Die Dornenkrönung Jesu – dabei sei das eher seltene Türkis als Glasfarbe genutzt worden.
- Die Kreuzigung Jesu mit einem gebogenen Kreuzbalken in Türkis – in diesem Medaillon sei erstmals eine räumliche Tiefe zu erkennen: Maria Magdalena im Hintergrund stützt die Gottesmutter Maria im Vordergrund.
- Die Auferstehung Jesu mit den Grabwächtern im Vordergund – wieder Tiefenwirkung.
- „Noli me tangere“ – Jesus trifft Maria Magdalena im Garten und sagt laut Johannes zu ihr: „Fass mich nicht an!“
- Die Aussendung der Jünger: „Gehet hin in alle Welt...“
- Die Himmelfahrt Christi – symbolisch dargestellt auch durch seine Fußabdrücke im braunen Boden.
- Der „Weltenrichter“ Jesus, der im Himmel thront.
Vermutlich drei Künstler hätten diese Fenster geschaffen, sagte Dr. Witzel, Kunsthistoriker orientierten sich dabei an den aufgemalten Augenformen. Vier weitere Motive sind:
- die beiden Sibyllen mit Kronen und Spruchbändern – Weissagerinnen, die von der Ankunft des Messias künden.
- Das ornamentale Fenster mit dem „Teppichmuster“ stammt vermutlich aus dem Langhaus.
- Der Pelikan aus dem Südportal stammt laut Forschungsprojekt „Corpus Vitrearum Medii Aevi“ aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts – Band III, 3 beschreibt die gesamte Glasmalerei in Nordhessen.
Das Glas sei zum Teil sehr dunkel, stellte Dr. Witzel fest. Das liege nicht nur an der Verwitterung von außen, sondern auch an einer Restaurierung der Mayerschen Hofkunstanstalt aus München 1852. Sie habe zum Ablösen von „Wetterstein“ und Kalk eine aggressive Säure benutzt, die die Glasoberfläche angegriffen habe. Er listete auch weitere Schäden auf, die im Laufe der Zeit aufgetreten sind.
Dennoch seien die Fenster in einem vergleichsweise guten Zustand, sagte die Restauratorin Ronja Lammers aus Marsberg bei der Präsentation der Fenster am Sonntag. Viele Interessenten nutzten die Gelegenheit, die ausgebauten Fenster im Gemeindehaus des Ederdorfes aus der Nähe zu betrachten. Lammers war dicht umlagert und beantwortete zahlreiche Fragen über die Bearbeitung des Glases im Mittelalter und über ihre Arbeit.
Dr. Karl Schilling |
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Mit Buchgeschenken bedankte sich Ruth Piro-Klein bei Dr. Peter Witzel für seinen Vortrag. |
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